Philipp Koenig gesteht es unumwunden: «Am Anfang war ich irritiert, verwirrt, erschüttert.» Denn sein damals 14-jähriges Patenkind, das er von Geburt an als Mädchen kannte, hatte ihm offenbart, dass es in Wirklichkeit ein Bub sei. «Ich erkannte: Das war ernst; kein Spiel, kein Witz», erzählt Koenig. «Es war die Wahrheit und somit existenziell für mein Patenkind, verbunden mit vielen Fragen und auch einem grossen Leiden.» Menschen, die das Empfinden haben, im falschen Körper zu leben, als Junge im Körper eines Mädchens oder umgekehrt, werden als transsexuell oder transident bezeichnet; dieses Phänomen hat nichts mit Homosexualität und auch nichts mit Transvestismus zu tun.
Gender, Transgender, genderfluid, agender und verwandte Themen – das tönt nach aufgeladenen politischen Debatten, nach Befindlichkeiten und Empfindlichkeiten, nach Gesellschaftspolitik, Sprachpolitik, Psychologie und Medizin. Philipp Koenig, den das Thema «Transidentität» aus gegebenem Anlass zu beschäftigen begann, betrachtete es aus einer anderen, ungewohnten, vor allem aber vermittelnden Warte: aus dem Blickwinkel der Spiritualität. «Für mich ist Transidentität auch ein spirituelles Thema, nämlich eines, das den Wesenskern eines Menschen betrifft», sagt er. Es gehe um zentrale Fragen wie: Wer bin ich? Siehst du mich als den Menschen, der ich bin? Wie bringe ich mich in die Gesellschaft ein, was ist mein Ruf?
«Du bist, wie du bist»
Philipp Koenig, Pfarrer in Bern-Bümpliz, hat sich mit dem Thema gründlich auseinandergesetzt und im Rahmen der beruflichen Weiterbildung CAS Spiritualität eine Arbeit geschrieben. Sie trägt den Titel «Trans*zendenz, Schritte mit einem transidenten jungen Mann». Für diese Arbeit schöpfte der Verfasser aus seinen eigenen Erfahrungen, aus den Gesprächen und dem Zusammensein mit seinem transidenten Göttibuben. In der CAS-Arbeit tritt dieser unter dem Pseudonym Felix auf, denn seit seinem Outing trägt der Jugendliche nebst einem männlichen Vornamen auch entsprechende Frisur und Kleidung, zudem denkt er intensiv über medizinische Massnahmen nach.
«Felix sagt, er sei im falschen Körper», erklärt Koenig. «Und ich als Pfarrer frage: Du bist so, wie du bist. Könnte es nicht deine Aufgabe sein, etwas daraus zu machen?» Der transidente deutsche Pfarrer Ines-Paul Baumann, den Koenig in seiner Arbeit zitiert, formuliert es so: «Als Trans*mensch erfahre ich mich als von Gott geschaffener Trans*mensch. Es war kein Fehler, dass ich so bin, wie ich bin, sondern das ist, was Gott mir mitgegeben hat, auch mit dem Auftrag, damit zu arbeiten. Das ist keine Veränderung eines Fehlers, sondern das ist der Auftrag eines schöpferischen Mitgestaltens.»
Eine Brücke zur Transzendenz
Transidentität sei, sagt Koenig, eng verbunden mit Transzendenz und damit auch mit christlicher Spiritualität. Prägende Gestalten des Christentums, zum Beispiel Paulus, Martin Luther oder Teresa von Avila, hätten alle eine Verwandlung, eine Selbstüberschreitung im Sinn von Transzendenz erlebt und dabei Erfahrungen mit dem Anderen, dem Göttlichen gemacht. «Gerade auf solche Wandlungen und Ausweitungen können auch Transmenschen verweisen, mit ihrem Doppelblick auf unsere gegenwärtig sehr körperzentrierte Welt. Sie distanzieren sich von ihr und sind ihr gleichzeitig besonders nahe.»