Erst war es der 29. März, dann der 12. April. Jetzt heisst das neuste Datum: 31. Oktober. Bis Halloween soll das Vereinigte Königreich die EU verlassen haben. Dieser Beschluss fiel am 10. April an einem EU-Sondergipfel in Brüssel. Somit scheint ein chaotischer Austritt Grossbritanniens vorerst abgewendet.
«Die Fristverlängerung ist ein Kuhhandel», kommentiert der nordirische Politologe Duncan Morrow auf Twitter den Entscheid. «Einmal mehr ist unklar, was jetzt passiert. Was ist, wenn das Vereinigte Königreich im September nochmals über den Brexit abstimmt? Würde die EU verlängern?» Das Szenario «Brexit an Halloween» bezeichnet Morrow ironisch als ein «unheiliges Durcheinander».
Gespaltene Gesellschaft
«Die Situation ist eigentlich unfassbar», sagt Steve Stockmann, Pfarrer der presbyterianischen Fitzroy-Gemeinde in der nordirischen Hauptstadt Belfast. Es sei, als würde man den Film «Und täglich grüsst das Murmeltier» schauen, aber die Komödie wäre in Wahrheit eine Tragödie. Im Film erlebt der Hauptdarsteller denselben Tag stets aufs Neue, ohne sein Problem lösen zu können. «Egal, ob man zu den Befürwortern oder den Gegnern eines Brexit gehört, wir sind alle über die Inkompetenz, Unberechenbarkeit und Unreife unserer Politiker verärgert», sagt Stockmann.
Für ihn widerspiegelt das gespaltene Parlament die Uneinigkeit in der Gesellschaft: Während in Nordirland vor drei Jahren 56 Prozent der Stimmenden gegen den Brexit votierten, sagte eine knappe Mehrheit der Engländer Ja zum Austritt.
Vor allem die Ungewissheit, wie der Brexit in Nordirland umgesetzt wird, mache der Bevölkerung zu schaffen. Die Folgen seien Frust und Müdigkeit, so Stockmann. «Wirtschaftlich, sozial und politisch steht für uns mehr auf dem Spiel als für jeden anderen Teil Grossbritanniens.»
Unklare Zukunft
Wie das Vereinigte Königreich sein Verhältnis zur EU regelt, ist für Nordirland existenziell. Ohne Vertrag mit der EU droht eine harte Aussengrenze zu Irland, mit dem Nordirland wirtschaftlich eng verflochten ist. Zudem zieht sich durch das vom Krieg gezeichnete Land auch 20 Jahre nach dem Friedensabkommen eine innere Grenze zwischen krontreuen Protestanten und irlandorientierten Katholiken. Die seit 2017 blockierte nordirische Regierung verhindert politische Stabilität.
Die nordirische protestantische Partei DUP (Democratic Union Party) spielt als Koalitionspartnerin der englischen Premierministerin Theresa May im Unterhaus des englischen Parlaments eine wichtige Rolle: Einerseits stützt sie May Minderheitenregierung, anderseits hat die DUP im Januar erstmals gegen Mays Brexit-Pläne gestimmt.
Unklare Zukunft
Die ehemalige nordirische EU-Politikerin Jane Morrice hofft nach wie vor auf einen Verbleib in der EU. Zu gross ist ihre Angst, dass kulturelle und politische Spannungen in Nordirland weiter wachsen.