Recherche 20. September 2021, von Hans Herrmann

Sensibler Umgang mit einem emotionalen Thema

Trauer

Wenn Kinder sterben, möchten die Hinterbliebenen die Bestattung so individuell wie möglich gestalten. Bestatterin Eva-Maria Finkam und eine betroffene Mutter berichten.

Ein Spätsommervormittag in Attiswil am Jurasüdfuss. Im Einfamilienhaus, das zugleich Geschäftssitz von Sternlicht Bestattungen ist, sitzen zwei Frauen am Tisch: Bestatterin Eva-Maria Finkam und Milena Stoll, Mutter eines vor zwei Jahren verstorbenen Kindes. Beide haben sich Zeit genommen, um über ein emotionales und oft verdrängtes Thema zu sprechen: über das Sterben von Kindern, die Beerdigung und das Abschiednehmen.

Eva-Maria Finkam ist die erste und auch einzige Anbieterin in der Deutschschweiz, die sich auf die Bestattungen von Kindern und Jugendlichen spezialisiert hat. «Betroffene Familien haben in solchen Fällen zartere und intimere Bedürfnisse als beim Tod eines älteren Menschen», weiss sie. Der klassische Ablauf der Tage zwischen Tod und Beisetzung sei in der Regel pragmatisch – und deshalb bei Kindern und Jugendlichen oft ungeeignet. Aus diesem Gedanken heraus gründete sie vor fünf Jahren Sternlicht Bestattungen mit dem Anspruch, betroffenen Familien ein Umfeld zu bieten, in dem sich eine individuelle Trauerkultur entfalten kann.

Die Geschwister einbeziehen

Unter Trauerkultur versteht Eva-Maria Finkam nichts Ausgefallenes, Ausgeklügeltes oder gar Exotisches. «Wir haben ja eine überlieferte Trauerkultur, wir müssen sie nur neu entdecken und den jeweiligen Bedürfnissen anpassen», sagt sie und verweist auf die Tradition der Totenwache, der Kondolenzbesuche und des gemeinsamen Gangs zum Friedhof. Und, vor allem, auf den Einbezug von Geschwistern und Nachbarskindern, die man früher weniger vor verstorbenen Menschen abschottete als heute.

«Viele Erwachsene möchten ihre Kinder vor der Begegnung mit dem Tod schützen, was ich gut verstehen kann.» Aber: «Den Kindern selbst ist es ein natürliches Bedürfnis, sich von einem verstorbenen Geschwister oder Schulkameraden zu verabschieden.»

Information ist wichtig

Die Möglichkeiten, individuell und zugleich würdig um ein verstorbenes Kind zu trauern, sind breit – viele betroffene Familien wissen dies nicht. Deshalb sei es wichtig, sie zu informieren, betont die Bestatterin und Familientrauerbegleiterin. Wer möchte, darf sein verstorbenes Kind bis zur Beerdigung bei sich zu Hause behalten, ein tragbares Kühlgerät erübrigt den Gang in eine Aufbahrungshalle. Die Wahl des Sarges und der Urne erfolgt mit Bedacht, in individueller Grösse und Farbe – und sogar der Schriftzug auf dem Grabkreuz darf auf Wunsch bunt sein.

Sterbende Kinder haben oft eine Reife, die mich berührt. Sie gehen mit ihrem Sterben bewundernswert um.
Bestatterin Eva-Maria Finkam

Eva-Maria Finkam berichtet von einem sterbenden Kind, das seine Urne selbst auswählte, in einer kräftigen Farbe und mit einem darauf landenden Keramik-Schmetterling. Dasselbe Kind wünschte auch, dass sein Leichnam nicht tagsüber durch den Gemeinschaftsgarten des Mehrfamilienhauses zum Fahrzeug getragen würde, sondern nachts und in aller Stille. «Sterbende Kinder haben oft eine Reife, die mich berührt», nimmt Finkam immer wieder wahr. «Sie gehen mit ihrem Sterben bewundernswert um.»

Eine Mutter nimmt Abschied

Milena Stoll aus Thun hat selbst erlebt, wie es ist, ein kleines Kind zu verlieren und zu Grab zu tragen. Es war das dritte Kind der Familie, Giona hiess der Bub. Bereits in seiner zweiten Lebenswoche bekam er eine Blutvergiftung, mit sieben Monaten seinen ersten epileptischen Anfall, kurz darauf die Diagnose eines Gendefekts. Es folgten zweieinhalb Jahre Auf und Ab, mehrmals war er dem Sterben nah. Im Winter 2019 litt er an einer Lungenentzündung, die er nicht überlebte. «Er starb um 11 Uhr am Tag nach dem Chlausetag, ganz ruhig und friedlich», berichtet die Mutter.

Dann kam die Zeit des Abschiednehmens, in der die Trauerfamilie von Eva-Maria Finkam gemeinsam mit zwei Pfarrern begleitet wurde. Der verstorbene Giona ruhte in diesen sechs Tagen zu Hause in seinem Zimmer, so konnten sich auch die Angehörigen in aller Ruhe von ihm verabschieden. Leute aus dem Quartier seien gekommen, sagt Martina Stoll. Freunde, Bekannte, Verwandte, darunter auch Kinder. «Manchmal waren die Erwachsenen ein wenig befangen, da nahm sie unsere damals sechsjährige Tochter bei der Hand und führte sie ins Zimmer, wo Giona lag.»

Trotz der Trauer lag über diesen Tagen eine spezielle Ruhe, ein fast heiliger Friede.
Milena Stoll, Mutter eines verstorbenen dreijährigen Kindes

Trotz der Trauer sei über diesen Tagen eine spezielle Ruhe gelegen, ein fast heiliger Friede, beschreibt die Mutter ihre Empfindungen. Einmal habe sie auf Wunsch der Kinder einen kleinen Badeausflug ins Berner Westside gemacht. «Das tat uns allen gut, und es war auch ein erster Schritt in Richtung Loslassen, denn während des Ausflugs entfernten wir uns erstmals länger vom verstorbenen Giona.»

Ein würdiger Trauerzug

So war sie nach fünf Tagen auch für die Bestattung bereit. Es gab einen würdigen Trauerzug, der Bruder und sein Freund trugen Fackeln, auf dem Friedhof brannte ein Feuer, der Sarg wurde noch einmal geöffnet, und zum Schluss warfen die Anwesenden Blumen und Federchen ins Grab. Am 23. Dezember lud die Familie noch zu einer Abschiedsfeier im erweiterten Kreis ein. «Wir bekamen Zeit und Raum für unsere Trauer, und dafür bin ich sehr dankbar», fasst Milena Stoll zusammen.

Und wie geht Eva-Maria Finkam mit emotionalen Situationen um, die sie berufshalber immer wieder erlebt? «Ich bin berührt und lasse mich darauf ein», sagt sie. Was sie bei der Bewältigung von Trauerfällen immer wieder spüre, sei «eine riesige Liebe», die sich in diesen Tagen bemerkbar mache. «Dazu aber braucht es ein gutes und tragendes Beziehungsnetz mit Menschen, die den Trauernden zu verstehen geben: Ihr seid nicht allein.»