Hans Walter Golls Vater weinte, als er ihm die Geschichte von Auguste Hertz erzählte. «Sie war eine entfernte Verwandte», erinnert sich Goll, «Männer im Auftrag der Gestapo schleppten die 83-Jährige beim so genannten ‹Altentransport› in Krefeld vor aller Augen in einer Schubkarre zum Hauptbahnhof.» Sie landete mit 222 anderen Krefelder «Alten» im Schlachthof Düsseldorf im Ghetto Theresienstadt und verstarb dort am 23. September 1942. «Diese Unmenschlichkeit soll uns nicht als Letztes von Auguste Hertz in Erinnerung bleiben», sagte sich Hans Walter Goll. Er beschloss, mehr über das Leben der Deportierten zu erfahren und ihre Geschichte aufzuschreiben. Jetzt ist sein Buch erschienen.
Glücklich verheiratet
Die Suche nach Auguste Hertz (1859–1942) gestaltete sich schwieriger als gedacht. Monatelang recherchierte Goll in den Archiven in Krefeld, blätterte in einschlägigen Büchern. Schliesslich entdeckte er sie mithilfe der NS-Dokumentationsstelle in Krefeld. Die Reise zu den Ursprüngen seiner Erzählung war eine Reise in die eigene Familiengeschichte. Golls Vater stammte aus einer Familie, zu der Juden gehörten und in Krefeld lebten. «Die Tante meines Vaters war in Krefeld geboren und mit dem Bruder von Auguste Hertz, glücklich verheiratet», erzählt er.
Die beiden Biografien, die seines Vaters und Auguste Hertz', setzt Goll in seinem Buch deshalb nebeneinander. Dabei beschränkt er sich nicht nur auf Fakten. Mit viel Empathie beschreibt er den fiktiven Alltag von Auguste Hertz. Er beobachtet sie beim Einkaufen, was für Juden zunehmend schwieriger wurde. Er schildert, wie ihr Lebensraum immer weiter eingeschränkt wurde. Auch wie es an den Schulen damals aussah, erzählt Goll anschaulich. Die Jugendlichen wurden zum Hass auf alle erzogen, die nicht in die Norm der Nazis passten: Juden, Homosexuelle, Roma, Behinderte. Dem Grauen verleiht er damit ein Gesicht. Aber auch dem Widerstand. «Den es immer und zu jeder Zeit in Deutschland gegeben hat», betont Goll.
Zum Beispiel in der «Bekennenden Kirche», die sich gegen die Vereinnahmung des Christentums durch die Nazis wehrte. «Da gab es auf der anderen Seite die ‹Deutschen Christen›, die Hitlers Politik von der Kanzel aus unterstützten und Kruzifixe aus der Kirche entfernten», sagt Goll. Ein leidender Christus, der mit den Kranken und Schwachen mitleide, das sei unhaltbar für ein «Evangelium» der Starken und der Sieger, wie es die «Deutschen Christen» forderten. Allerdings seien ihre Gottesdienste eher schlecht besucht gewesen, schreibt Goll in seinem Buch. Im Gegensatz zu jenen der «Bekennenden Kirche». Sogar die damals kirchenfernen Sozialdemokraten seien aus Solidarität gekommen.
Halt am Nordwall 80
Am 18. Mai des letzten Jahres reiste Hans Walter Goll noch einmal in besonderer Mission nach Krefeld. Das Fichte-Gymnasium hatte ihn eingeladen, ein Referat über den Krefelder «Altentransport» und die Geschichte von Auguste Hertz zu halten, anlässlich der Verlegung eines «Stolpersteins» Gemeinsam mit Schulklassen und Lehrpersonen begab sich der Pfarrer zum Nordwall 80. Hier, vor ihrem einstigen Wohnhaus, setzte der Künstler Gunter Demnig einen «Stolperstein» für Auguste Hertz in den Boden. Schüler legten Rosen und Kerzen dazu. «Die Nazi-Barbarei hat somit nicht das letzte Wort», sagt Goll.