Recherche 20. Mai 2020, von Christa Amstutz

Zwei ganz besondere Himmelfahrer

Bibel

Nicht nur von Jesus, auch von Herrschern, Helden und Philosophen sind Himmelfahrten überliefert. Besonders spektakulär ist die Auf­fahrt des alttestamentlichen Propheten Elija.

Jesus war längst nicht der einzige frühe Himmelfahrer. In der Religionsgeschichte gibt es zahlreiche Beispiele von Auffahrten. Das ist nicht erstaunlich: In der antiken und altorientalischen Vorstellung lebten die Götter fern von den Menschen – un­ter der Erde, auf Gebirgen oder eben im Himmel.

Gott kommt zu Besuch

«Wenn man mit einem Gott in Kontakt treten will, muss entweder er herabkommen oder man muss zu ihm hinaufsteigen», sagt Thomas Krü­ger. Er ist Professor für alttestamentliche Wissenschaft und altorientalische Religionsgeschichte an der Universität Zürich.

Im Alten Testament begibt sich Gott öfters zu den Menschen hinunter, wenn er ihnen etwas offenbaren will. So zum Beispiel zu Moses auf den Berg Sinai, um ihm die Zehn Gebote zu diktieren. Doch auch der umgekehrte Weg ist verbreitet, wobei über verschiedene Arten von Himmelfahrern berichtet wird.

Leidenschaftlicher Monotheist

«Es gibt Protagonisten, die in den Himmel reisen und danach wieder zurückkommen mit einer Beschreibung, wie es im Himmel aussieht, oder mit einer Botschaft der Götter», sagt Krüger. Die Reisen geschehen real körperlich, im Traum, oder in einer Vision. Und dann gebe es jene, die entrückt werden und im Himmel bleiben. Das sei bei einigen grie­chischen Philosophen und römischen Kaisern der Fall.

Und bei Jesus, dessen Himmelfahrt in diesem Jahr am 21. Mai gefeiert wird, sowie seinem Vorgänger, Elija aus dem Alten Testament. Der Prophet ist ein leidenschaftlicher Kämpfer für die alleinige Verehrung Jahwes, ein früher Monotheist also. Er fährt am Ende seines weltlichen Lebens in einem Wagen aus Feuer mit Pferden aus Feuer in den Himmel hinauf (2. Könige, 2). Die Schilderung ist dramatisch. Wäh­rend der Prophet im Sturmwind ent­schwindet, schreit ihm sein Jünger Elischa verzweifelt nach.

Eine Wucht

In einem der Fenster von Sigmar Polke im Zürcher Grossmünster ist diese Himmelfahrt dargestellt. Wer ein genaues Bild des Geschehens erwartet, wird enttäuscht. Käthi La Roche, die als frühere Pfarrerin am Grossmünster die Entstehung der Fenster miterlebte, berichtet: «Polke fand, Elijas Himmelfahrt sei von solcher Wucht, dass man sie nicht sehen kann, als würde man in die Sonne schauen und geblendet sein.»

Die Szene fasste der Künstler in ­eine Münze, als Reminiszenz an antike Vorstellungen, dass für die Überfahrt ins Jenseits ein Zoll entrichtet werden muss. Ausserhalb des Medaillons steht Elischa. Er empfängt den von Elija fallen gelassenen Man­tel und wird zum Nachfolger.

Vom Alten zum Neuen Testament

Von 2006 bis 2009 hat Sigmar Polke Fenster für das Zürcher Grossmünster geschaffen. Acht Monate nach deren Einweihung starb der deutsche Künstler im Alter von 69 Jahren. Sieben Fenster aus Achatscheiben leuchten im Westteil und erinnern an die Weltschöpfung. Die fünf Farbglasfenster in den Seitenschiffen wiederum zeigen alttestamentliche Figuren. Sie können wie der hier abgebildete Elija als Prä­figurationen Christi gelesen werden und weisen auf das Jesuskind und damit die Menschwerdung Gottes in den Chorfenstern von Augusto Giaco­met­ti hin. Polke hat verschiedene Zeitachsen und -ebenen in den Kirchen­raum gelegt: Von der Erdgeschichte führen sie über biblische Zeiten und die Romanik bis in unsere Gegenwart.

Käthi La Roche mag das Elija-Fenster im Grossmünster ganz besonders. In der jüdischen Tradition sei der Prophet eine sehr wichtige Figur, in orthodoxen Kreisen etwa hal­te man ihm einen Stuhl frei am Sedermahl vor dem Pessachfest. «An ihn knüpfen sich Erwartungen, dass er wiederkommen, in unterschiedlichster Gestalt auftauchen und die Ankunft des Messias ankündigen wird», sagt La Roche.

Jesus bezieht sich auf Elija

Aber auch im Neuen Testament ist Elija wichtig. Er wird in Zusammenhang gebracht mit jenen, die den Anbruch des Reiches Gottes ankünden. Johannes der Täufer übernimmt zwar seine Rolle im Neuen Testament. Doch wenn Jesus gefragt wird, wer er sei, bringt die Zuhörerschaft immer wieder auch Elija ins Spiel.

Und als Jesus am Kreuz betet, «Gott, warum hast du mich ver­lassen», sagen einige: «Hört, er ruft nach Elija» (Mk 15,34f). Nach der Himmelfahrt bleiben seine Jünger in einer schwierigen und ungewissen Situation zurück. «Jesus ist endgültig weg, die Kraft, die er ­ih­nen verheisst, empfangen sie erst an Pfingsten, spüren sie jetzt aber noch nicht», erklärt La Roche.

Von einer Wolke umhüllt

Im Vergleich zur feurigen Himmelfahrt Elijas ist jene von Jesus, die der Jünger Lukas in der Apostelgeschichte erzählt, weniger spektakulär. Der Auferstandene wird von ­einer Wolke umhüllt und ist weg. In den älteren Paulusbriefen hingegen seien Tod, Auferstehung und Auffahrt noch zusammen gedacht worden, sagt Thomas Krüger. «Jesus stirbt und wird auferweckt zu einem neuen Leben im Himmel.»

Doch in den Evangelien, die mindestens 35 Jahre nach dem Tod Jesu geschrieben wurden, wandelt dieser nach der Kreuzigung erst noch auf der Erde, isst mit den Jüngern, lässt sich vom ungläubigen Thomas berühren, um zu beweisen, dass er lebendig ist.

Lukas erzählt in der Apostelgeschichte weiter, wie sich nach der Auferstehung das Christen­­tum ausgebreitet hat, nachdem Jesus die Apostel berufen hat. Deshalb fügt er die Auffahrtsszene hinzu, so unwahrscheinlich sie heutigen Menschen auch erscheinen mag. «Irgendwie musste Lukas Jesus ja von der Erde in den Himmel befördern», sagt Krüger.