Schwerpunkt 19. Juli 2022, von Karin A. Wenger

Den multireligiösen Geist wiederbeleben

Rückkehr nach Mossul

Mit Millionen aus den Arabischen Emiraten und Europa werden Kirchen wiederaufgebaut. Damit sollen Christen zur Rückkehr ermutigt werden.

«Wir brauchen Lichter vor dem Eingangstor, und dort drüben vor der Kirche auch», sagt der Dominikanerpater Olivier Poquillon zu zwei Ingenieuren und einer Architektin. Sie stehen vor den Aussenmauern der römisch-katholischen Al-Saa’a-Kirche, deren Turm den Horizont Mossuls jahrelang prägte.  

«Brauchen wir Deko-Lichter?», fragt einer der Ingenieure. Poquillon antwortet, dass er «es draussen schlicht halten würde, damit ein Kontrast entsteht zu drinnen». Der Pater ist für den Wiederaufbau der Kirche verantwortlich. Erbaut in den 1870er-Jahren, war sie berühmt für ihre Turmuhr – ein Geschenk der Kaiserin Eugenie von Frankreich an die Dominikaner von Mossul. Es war die erste Uhr im Irak.   

Kein Kreuz blieb ganz

Wo die Uhr war, klafft ein schwarzes Loch. Die Innenräume der Kirche verwüstete und plünderte der IS, kein Kreuz blieb ganz, und den Engeln zerschlugen die Terroristen die Gesichter. Die Mauern sind mit Einschusslöchern übersät: Spuren der achtmonatigen Schlacht um die Stadt und der Niederlage des IS. 

Im Innenhof prangt ein grosses Plakat: «Revive the Spirit of Mosul». Der Wiederaufbau der Kirche ist Teil der Multimillionen-Initiative der Unesco, deren Ziel es ist, das kulturelle Erbe und die religiöse Vielfalt der Stadt wiederzubeleben. Zu den grossen Geldgebern zählen die Vereinigten Arabischen Emirate, auch die EU beteiligt sich.

Nach drei Jahren Vorbereitung hat im März die Rekonstruktion der wichtigsten Bauten begonnen: das Minarett der Nuri-Moschee, die syrisch-katholische Al-Tahira-Kirche, vor deren Ruinen der Papst eine Rede hielt, die Al-Saa’a Kirche.

Bevor sich Poquillon und das Bauteam um Lichter oder die Auswahl der Steine für die Aussenmauern kümmern konnten, galt es 1600 Tonnen Schutt sowie nicht explodierte Sprengkörper vom Gelände zu räumen. Dabei versuchten die Arbeiter, möglichst viele Stücke der Säulen, Platten und Dekorationselemente zu bergen. Schön aufgereiht und beschriftet liegen sie in einem Unterstand im Innenhof. 

Verwendbare Originalteile werden wieder eingesetzt. Das Team der Rekonstruktion besteht aus lokalen und internationalen Experten, die verschiedenen Religionen angehören, womit sich ein Kreis schliesst: Die Al-Saa’a-Kirche und die Nuri-Moschee seien einst von Christen und Muslimen gemeinsam erbaut worden, so Poquillon. «Der Spirit dieser Stadt besteht aus dem Zusammenleben.» Ihr arabischer Name bedeutet Verbindungspunkt.