Als Andreas Frischknecht an diesem regnerischen Frühlingstag um sechs Uhr früh seine Kühe zum Melken von der Weide holt, liegt ein neugeborenes Kalb im Gras. Er trägt es in den Stall hinunter, dann melkt er wie jeden Morgen die 25 Kühe und zwölf Ziegen und tränkt die Kälber und Geisslein.
Es ist halb neun, als er sich an den Küchentisch setzt. Seine Familie und seine Angestellte haben schon angefangen mit dem Frühstück. Während sich der Biobauer Konfitüre auf das Brot streicht, bespricht er mit seiner Frau Regula kurz den Tag.
Er gibt Gabi, die einen geschützten Arbeitsplatz hat auf dem Lindenhof, den Auftrag, den Brunnen zu putzen, und neckt seine Tochter. Claudia – das zweitjüngste der vier erwachsenen Kinder der Frischknechts – jammert, dass ihr Auto zum Reparieren in der Garage ist. Genüsslich meint der Vater: «Es gibt auch Zug und Bus hier in Tann.» Für einmal hat das Tischgebet vor dem Essen ohne ihn stattgefunden. Doch wie üblich hat der Bauer auch heute in aller Früh gebetet und in der Bibel gelesen.
Ganz oder dann gar nicht
Die Frischknechts sind Mitglied der reformierten Landeskirche, fühlen sich aber in der evangelisch-methodistischen Kirche mehr zu Hause; die Kapelle liegt bloss ein paar Fussminuten vom Hof entfernt. Solche «Doppelbürgerschaften» sind im Zürcher Oberland verbreitet. Die Kirchenzugehörigkeit ist Frischknecht ohnehin nicht so wichtig, mehr bedeutet ihm der Glaube.
In seiner Kindheit machte er in der methodistischen Jungschar mit, weil die Reformierten im Dorf noch keine Jugendarbeit hatten. Als junger Mann engagierte er sich in der reformierten Kirchenpflege seiner Gemeinde Dürnten. Doch als seine Tochter die einzige Sonntagsschülerin war, wurde die Schule aufgelöst. Und die Familie schloss sich der methodistischen Gemeinde an.
Rückblickend sei er zu jung gewesen für das Kirchenpflegeamt, sagt Frischknecht. Ihm habe auch der praktische Glaube gefehlt, es sei zu oft ums Verwalten gegangen. Der Bauer wollte mehr. «Es gab eine Zeit, da habe ich zu Gott gesagt: Entweder hat der Glaube praktische Auswirkungen in meinem Alltag, oder ich hänge ihn an den Nagel.» Offenbar habe Gott dies gehört, fügt er schmunzelnd an. In einem Männerseminar kam die Wende: «Plötzlich war Gott als Vater ganz nah, all meine Defizite waren aufgefüllt.»
Die leise Stimme Gottes
«Die Tierärztin ist da», ruft Regula Frischknecht. Ihr Mann steht auf und folgt ihr zur Pferdekoppel. Eines der sieben Pferde wurde beim Beschlagen verletzt, ein Nagel drang bis ins Fleisch vor. Frischknecht nimmt die Freiberger Stute an einen Strick, hebt das Bein mit dem verletzten Huf hoch, damit die Tierärztin arbeiten kann. Er tut dies ruhig und bestimmt, man spürt, wie sehr er seine Pferde liebt.
Einige von ihnen werden in Zusammenarbeit mit einer Physiotherapeutin für Hippotherapie eingesetzt. Der Bauer bietet auch Kutschfahrten an. Die Pferde hat er selber ausgebildet. «Ich muss vom Pferd als Chef akzeptiert werden, ich verlange Gehorsam, biete aber auch Sicherheit.» Wenn das Tier mit einem Auge auf ihn fokussiert sei und mit dem anderen schaue, wohin es trete, habe er schon viel erreicht.
Die Beziehung zwischen Bauer und Pferd ist für Frischknecht eine Analogie für seine Beziehung zu Gott. Er vertraut darauf, dass Gott ihn richtig führt. «Manchmal spricht er allerdings sehr leise oder total unkonventionell.» Dennoch gibt ihm der Glaube Sicherheit.
Diese Sicherheit möchte Frischknecht nicht missen, gerade in einer Zeit, wo sich alles ständig verändere. Viele Bauern stehen unter existenziellem Druck, müssen auswärts arbeiten, um den Hof zu halten. «Wir sollen natürlicher und tiergerechter und zugleich effizienter und billiger produzieren.»
Bauern unter sich
Seinem Biobetrieb geht es gut. Doch der Preis dafür ist hoch. Wenn der Bauer, der auch Kartoffeln, Weizen und Obst anbaut, am Abend die Tiere gemolken hat, wartet nach dem Znacht der immer aufwendigere Bürokram auf ihn und seine Frau.
«Vieles, was uns beschäftigt, kann man schwer verstehen, wenn man nicht selber Bauer ist», sagt Frischknecht. Darum engagiert er sich für die Bauernkonferenz der Stiftung Schleife in Winterthur und hat auch selbst einen Gebetskreis im Zürcher Oberland aufgebaut. Einmal im Monat treffen sich Bäuerinnen und Bauern zur Ermutigung, zum Austausch und zum Gebet, zum Beispiel auch für die Landesregierung. Und es wird handfest um Hilfe für Bekannte und eigene Anliegen gebetet. Etwa, dass die Missernten ein Ende haben oder ein krankes Tier gesund wird.
Kein Selecta-Automat
Frischknecht hat mit dieser direkten Ansprache kein Problem. Niemand bestreite, dass es wichtig sei, in einer Beziehung seine Wünsche offenzulegen. «Warum sollte das nicht auch für die Beziehung mit Gott gelten?» Selber habe er so schon «wunderbare Fügungen» erlebt. Mit seinem jüngsten Sohn, der den Hof übernehmen wird und sich mehr Land wünschte, betete er etwa um fünf zusätzliche Hektar. Wenig später machte ihm ein Bauer aus dem Dorf ein Pachtangebot.
Vor Kurzem half allerdings kein Gebet. Eine Kuh starb nach der Geburt ihres Kalbes. Gott sei kein Selecta-Automat, der nach Münzeinwurf das Bestellte liefere, sagt der Bauer. «Wir erwarten ganz klar Wunder, aber über all unseren Wünschen steht immer: Dein Wille geschehe, nicht meiner.»
Nach der abendlichen Stallarbeit macht sich Frischknecht auf zum Hof der Hausers in Ottikon. Dort trifft sich heute der Gebetskreis, fünfzehn Bäuerinnen und Bauern haben sich versammelt. Der Gastgeber, der in der reformierten Kirche Gossau engagiert ist, begleitet die Lobpreislieder mit seiner Gitarre. Andreas Frischknecht singt kaum mit. Mit geschlossenen Augen sitzt er entspannt und zugleich konzentriert da. Vielleicht spricht Gott ja gerade jetzt zu ihm.
