Mirjam Neis zeigt weder Regung noch Emotionen, als sie den Tag schildert, der ihre Welt aus den Angeln hob. Sie war 19 Jahre alt, als am 30. März 2006 ihre Grosseltern starben – brutal niedergestochen. Was ohnehin schwer zu ertragen ist, war in Neis’ Fall gar unfassbar. Denn der Täter war ihr vertraut.
Damals steht sie kurz vor dem Staatsexamen zur Pflegefachfrau und wohnt noch bei ihren Eltern in der Nähe von Berlin. Neis arbeitet im Operationssaal eines katholischen Spitals, hat alle Hände voll zu tun, als der Pflegedienstleiter sie zu sich ruft. «Das war sehr aussergewöhnlich», erzählt Neis, «denn das tat er sonst nie.» Sie befürchtet, etwas falsch gemacht zu haben. Im Büro empfängt sie der Chef mit einer Seelsorgerin. Dann, im kleinen Gebetsraum der Krankenhaus-Kapelle, erfährt sie: «Oma und Opa sind tot.» Mehr nicht. Neis schiesst durch den Kopf: «Warum sagen mir das nicht meine Eltern?»