«Das kirchliche Leben war für mich bereits als Knabe identitätsstiftend und die Zugehörigkeit zur christlichen Gemeinschaft eine Kraftquelle für meinen Glauben», sagt Johannes Lehnert. Der heute 54-Jährige wuchs mit vier Brüdern in einem Pfarrhaushalt in der ehemaligen DDR auf. Das war eine Zeit, in welcher der Staat den Glauben und Kirche bekämpfte, weil die marxistisch-leninistische Weltanschauung die Religion ablehnte.
Wollten Eltern ihre Kinder konfirmieren lassen, drohte ihnen die Schulleitung nicht selten, den Kindern eine Oberstufenausbildung vorzuenthalten. Waren 1945 in Ostdeutschland noch 90 Prozent der Bevölkerung Mitglieder einer Kirche, schrumpfte der Anteil bis zum Ende der DDR 1989 auf 25 Prozent.
Schwerter zu Pflugscharen
Für Lehnert war vor allem eines belastend: die Benachteiligung in der Schule. Trotz guter Noten hatte der Pfarrerssohn keine universitäre Ausbildung in Aussicht. Die regelmässigen Gottesdienstbesuche bezeichnet der heutige theologische Leiter des Kompetenzzentrums Bildung des evangelischen Diakonievereins in Berlin-Zehlendorf als eine «Art Beheimatung gegenüber dem System».
Für ihn war es früh wichtig, für seine Haltung einzustehen; er trug das Emblem mit dem Bibelzitat «Schwerter zu Flugscharen», das für den Völkerfrieden durch weltweite Abrüstung und für die Umstellung der Waffenproduktion auf eine zivile Industrie einstand. «Gott ist nicht neutral, sondern steht für die Schwachen ein.»
Revolution für ein Jahr
Christen wurden schikaniert. «Deshalb spielte die Passionsgeschichte für viele Christen in der DDR eine wichtige Rolle», sagt Lehnert, der von 2007 bis 2016 Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirche in Zürich war. «Ich fühlte mich aber nie als Opfer.» Den Grund dafür sieht er bei seinen Eltern: «Sie haben uns mit der Einstellung erzogen, Gott hat uns hierher gebracht und wir tun unser Möglichstes.»
Bis heute prägt ihn das kirchliche Leben jener Zeit: «Als Siebzehnjähriger war das Abendmahl für mich existenziell», sagt Lehnert. «Das Bewusstsein, im Kreis aus dem einen Kelch zu trinken, war für unser Gemeinschaftsgefühl sehr wichtig.»
Trotz der Benachteiligung durch die Behörden schaffte es Lehnert nach dem Studium der Kirchenmusik doch noch an eine staatliche Universität. Als 1989 die Mauer fiel, studierte der damals 23-Jährige bereits ein Jahr Theologie in Greifswald. «Für mich war klar, dass ich hier bleibe, denn ich will die Situation verändern und endlich mein Mitbestimmungsrecht nutzen.»
Lehnert unterbrach sein Studium und «machte ein Jahr lang Revolution», wie er es formuliert. Er war politisch engagiert und verhinderte die Verbrennung von Stasiakten, gründete eine Kindertagesstätte und Schulen. «Mein Leben in der DDR und die damit verbundenen Leiderfahrungen schärften mein Bewusstsein für Gerechtigkeit und das Engagement für Schwächere. Ich lernte, mich einzusetzen statt mich abzuschotten.»