«Der Tod Jesu am Kreuz erlaubt für mich viele Deutungen», sagt Nadja Boeck. «Er wich dem Tod nicht aus, ermöglichte eine bessere Welt, wie es auch viele andere in der Menschheitsgeschichte getan haben.»
Die 38-jährige Pfarrerin im Furttal ZH wuchs im deutschen Rostock auf. Mit 18 wurde sie lutherisch getauft. «Diese lustlose, schwere Opfertheologie wurde mir zum Glück nie vermittelt. Im Zentrum meiner Theologie stand stets die frohe Botschaft der Auferstehung, nicht die Passion.» Natürlich sei ohne Karfreitag kein Ostersonntag denkbar. Wäre Jesus nicht gestorben, hätte er nicht auferstehen können. «Ich wurde mir erst in der Schweiz bewusst, welche Rolle Karfreitag für die Reformierten spielt.»
In die Opferrolle gedrängt
Die feministische Theologin fordert gleiche Rechte und Freiheit für alle Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer Sexualität und ihrem Körper. «Leid darf nicht glorifiziert werden. Leiden erlöst uns nicht, sondern verhindert den Weg hin zur Befreiung», sagt Boeck.
Die tradierte Opfertheologie habe das Bild von Frauen lange beeinflusst und ihre Unterdrückung in der Gesellschaft gefördert. «Frauen wurden die Attribute Jesu zugeschrieben, wie etwa barmherzig und sanft. Das prägte das aufopfernde Frauenbild in patriarchalen Gesellschaften – auch heute noch.»
Die Schuld der Kirche
Eine Theologie, die den Tod Jesu als Notwendigkeit zur Vergebung der Sünden ansieht, hinterfragt Boeck: «Schwierig wird die Sühnetheologie, wenn Menschen in die Opferrolle gedrängt werden.» Die Kirche müsse sich der Verantwortung stellen. Sie habe Menschen in Opferrollen gezwängt. «So wurden Jüdinnen und Juden zu Opfern furchtbarster Pogrome, indem Christen die Passionsgeschichte antijudaistisch auslegten und jüdische Menschen für den Tod Jesu schuldig machten.»
Für Verfehlungen müsse sich die Kirche entschuldigen, fordert Nadja Boeck. Die Wirkungsgeschichte des Opferideals sei aufzuarbeiten, und alte Bilder gelte es zu dekonstruieren. «Ich glaube nicht an einen sadistischen Gott, der seinen eigenen Sohn opfert und leiden lässt.»
Boeck erforscht in ihrem Habilitationsprojekt die Bibelrezeption von Jugendlichen. Studien zeigen, dass die Schülerinnen und Schüler mit den gängigen Deutungen vom Kreuzestod wenig anfangen können. Deshalb wählte Boeck die Auferstehungsgeschichte. Auch sie sei für die Konfirmandinnen und Konfirmanden schwer verständlich, da die Texte aus alter Zeit in ihrer Lebenswelt kaum anklingen. «Ein Zugang zu den Texten ist über Emotionalität und Faszination möglich.»
Sehen die Heranwachsenden beispielsweise Parallelen zu Geschichten, die sie aus der Fantasy-Welt in Büchern, Filmen oder Computerspielen kennen, dann sei eine Annäherung möglich. «Das Schweisstuch, das die Jünger im leeren Grab Jesu finden, animierte die Konfirmandinnen zu einer Diskussion über die Emotionen, die der Blick in das Gesicht eines Toten hervorruft», erzählt Boeck.