Die vegane Küchenkarriere beginnt mit viel Krach. Schnell schüttet René Schori eine Tüte voll Cashewnüsse in den Hochleistungsmixer. Scharfe Messer verwandeln die eingelegten Nüsse zu einer cremigen Masse. «Probiert mal», sagt Schori und reicht den zwölf Teilnehmern des Kochkurses «Täglich vegan» in Winterthur kleine Probierbecher. Vegan täglich, das heisst, für immer nicht nur auf Fleisch, sondern auch auf tierische Produkte wie Milch, Eier und Käse zu verzichten. Und der Milchrahm wird durch Cashewnüsse ersetzt.
Eine ganze Palette von Gerichten hat René, der alle im Kurs duzt, ausgesucht. Bevor sich aber die Kleingruppen an orientalische Vorspeisen, Lasagne und Kartoffelgratin machen, wird er grundsätzlich: «Es ist heutzutage wichtig, was du isst, aber genauso, wie du isst.» Zu viele veganische Novizen seien einseitig ernährt, würden nicht auf die Balance von Vitaminen, Proteinen und Ballaststoffen achten.
Auch Ruth kennt sich mit der Ernährungspyramide aus. Die pensionierte Hauswirtschaftsleiterin hat früher in Altersheimen gearbeitet. Aber Fleischverzicht, das sagt sie gleich bei der Kennenlernrunde, kommt für sie nicht infrage. «Mein Mann und ich sind Kinder der Nachkriegsgeneration», sagt sie. Den Kurs besucht sie, da ihre Tochter bei ihren Besuchen aus dem fernen England lediglich noch vegan aufgetischt haben will.
Fleischeslust lässt nach
Tatsächlich verlief die Kurve des Fleischkonsums über lange Zeit im Gleichschritt mit dem Wirtschaftswachstum nach oben. 1949 startet die Schweizer Statistik mit 27 Kilo pro Person und Jahr und erreicht 1987 mit 60 Kilo Fleisch seinen Gipfel. Seither nimmt der Konsum gemächlich ab und lag 2018 bei 52 Kilo. Vor allem der Gesundheits- und Ökotrend hat die Zahl der Fleischabstinenzler wachsen lassen. Jeder siebte Schweizer konsumiert keine Fleischprodukte und drei Prozent essen vegan. Besonders die Jungen können sich für diese Essenslehre erwärmen. Zwei Kursteilnehmerinnen berichten von ihren 16-jährigen Söhnen, die vor einem Jahr mit der Botschaft nach Hause gekommen sind: «Ich esse ab jetzt nur noch vegan.»
Mit 14 Jahren hat sich auch Lauren Wildbolz von ihrer Mutter gewünscht, dass bei ihr kein Fleisch mehr auf den Teller kommt. Die heute 38-Jährige hat sich 2010 mit ihrer Kunstaktion «Frisch aus dem Müll» einen Namen gemacht. Die Tauchlehrerin fischte in den Containern nach Lebensmitteln und kochte daraus vegane Menüs. Eine Aktion, in der sich Kunst mit dem umweltpolitischen Anliegen, den Foodwaste einzudämmen, verband. Auch das von ihr eröffnete erste vegane Restaurant in Zürich sorgte für Schlagzeilen.
Mit ihrem liebenswürdigen Lächeln und ihren lebhaften Augen kommt Lauren Wildbolz bei den Medien gut an. Ob sie nun beim SRF mit Kurt Aeschbacher diskutiert oder mit Kirchenrat Andrea Bianca über Tierethik und Veganismus debattiert, strahlt sie als Person ihre Botschaft authentisch aus: «Rein pflanzliches Essen ist für alle da, nicht nur für Veganer!»
Tolerant zu Fleischessern
«Tolerant», umschreibt Lauren Wildbolz ihren Umgang mit der fleischessenden Mehrheit. Die Mutter eines sechsjährigen Kindes bekennt sich dazu: Ihre sechsjährige Tochter darf auch mal Cremetorte beim Kindergeburtstag oder beim Grossmami eine Wurt essen.
Längst ist aus der Foodaktivistin von einst eine Geschäftsfrau geworden, die ihr Geld mit festlichen Caterings und Kochkursen verdient. Mit ihrer Arbeit will sie einen positiven Nebeneffekt erzielen: das Vorurteil von der veganen Verzichtsdiät aus der Welt zu schaffen. «Ich versuche mit der Opulenz meiner inszenierten Buffets, den Menschen die pflanzliche Küche schmackhaft zu machen.»
Lauren Wildbolz über den Umgang mit dem Essen:
Traumjob sausen gelassen
René Schori will ebenfalls nicht missionieren, sondern mit neuen Aromen die Menschen von einer rein pflanzlichen Ernährung überzeugen. Vegane Weltanschauung trägt hingegen Anna im Kochkurs zur Schau. Sie trägt ein T-Shirt, auf dem neben Schwein, Rind und Huhn die anklagende Aufschrift steht: «Ist dein Appetit mehr wert als ihr Leben?»
Wenige Tage später bei einem Latte Macchiato mit Hafermilchschäumchen im «Tibits» erzählt Schori, wie er einen Traumjob als Küchenchef in einem Seminarhotel hat sausen lassen. Für ihn war es ein No-Go, Fleisch zuzubereiten.
Ohne missionarischen Eifer
Das Tierwohl ist der zentrale Umkehrpunkt in der Essenbiografie der beiden veganen Profiköche. Das verführt sie aber nicht dazu, den Krieg gegen die Fleischesser auszurufen oder die Karnivoren als lebende «Friedhöfe für Tiere» zu beschimpfen, wie dies in manchen Vegan-Blogs zu lesen ist.
Dass hinter dem Entscheid, vegan zu leben, auch spirituelle Beweggründe stecken, räumt Schori gerne ein. Auch für Lauren Wildbolz spielt Spirituelles eine Rolle. Das in allen Weltreligionen vorgegebene Tötungsverbot hat sie auf die Tiere ausgeweitet: «Der Mensch mit seinem ethischen Denkvermögen hat eine besondere Verantwortung und sollte weder Tier noch Mensch töten.»
Klimapolitik auf dem Teller
Auch wenn sich viele Menschen nicht zu diesem spirituell verankerten Tötungsverbot entschliessen können, hofft Wildbolz darauf, dass sie ihren Fleischkonsum reduzieren. Das sei wirksam gegen den Klimawandel, sagt sie. Und die Wissenschaft gibt ihr recht: Das Ergebnis einer neuen Studie der Universität Oxford bringt zutage, dass vegan essen um ein Vielfaches wirkungsvoller ist als der Verzicht auf Auto und Flugreisen. Schliesslich stammen über 20 Prozent aller Treibhausgas-Emissionen von der tierproduzierenden Landwirtschaft.
Lauren Wildbolz ist auch zehn Jahre nachdem sie als Foodaktivistin gegen Foodwaste auftrat, politisch: Vegan essen ist für sie nur dann wirklich konsequent, wenn ökologische und ethische Überlegungen hinzutreten. Dazu gehört für sie auch: regional und biologisch einkaufen. Selbst bei ihren opulenten Buffets verzichtet sie darum auf Avocados.