Recherche 30. Mai 2022, von Marius Schären

«Mia» und «Noah» klingen einfach schön

Gesellschaft

Vornamen mit biblischen Wurzeln sind im Trend. Entdecken junge Eltern gerade das Christentum neu? Eine Expertin relativiert.

Mia ist eine Kurzform von Maria – und seit 2010 ganz oder fast an der Spitze der beliebtesten Vornamen der Schweiz. Noah ist sogar seit bereits 20 Jahren top: Nach einem kometenhaften Aufstieg in der Beliebtheit ist er bereits zur Jahrtausendwende an 384 Babys vergeben worden, 2020 erhielten sogar 508 Neugeborene den biblischen Namen. Damit nicht genug: Mit Matteo (Matthias), Luca (Lukas), Elias, Gabriel, Ben (Benjamin), Aaron, Samuel wie auch David haben bei den männlichen fast alle bis zum Rang zwölf diese Wurzeln.

Weich und sonor soll er sein

Ein Trend zur christlichen Kultur? Simone Berchtold Schiestl relativiert. Die Sprachwissenschaftlerin an der Uni Zürich befasst sich seit Jahren mit Namen. Jedes Jahrhundert oder jede kulturelle Epoche habe ihre Modeströmungen, sagt sie. «Heute sind kurze Namen im Trend; dieser Trend lässt sich seit 2000 verfolgen und ist in der Schweiz, aber auch in Deutschland zu erkennen.» Zudem klängen Vornamen heute weich. «Die Kombination aus M, N, L und Vokalen wird heute als sonor und wohlklingend empfunden», erklärt die Linguistin.

Die Bedeutung der Namen hingegen spiele bei der Wahl zumeist eine untergeordnete Rolle. «Eltern schlagen die Bedeutung sicher einmal nach, aber vorrangig wird dann nach dem Wohlklang gewählt», hält Berchtold Schiestl fest. Und auch wichtiger als der tiefere Sinn sei meist, ob der Name zu den anderen der Familie passe.

Heute werden biblische Namen durch Kurzformen und Namen aus anderen Kulturen konkurrenziert.
Simone Berchtold Schiestl, Sprachwissenschaftlerin

Bei alldem ist bei manchen biblischen Vornamen eine gegenteilige Tendenz auszumachen. Namen wie die der Apostel Andreas, Jakob, Johannes und Simon, aber auch jene beliebter Heiliger wie Martin oder Michael lagen lange im Trend, doch seit Anfang 2000 ist es damit praktisch vorbei.

Klar sei aber: «Es wurden noch nie so viele verschiedene Vornamen vergeben wie gegenwärtig», sagt die Forscherin. Früher ha­be sich das Repertoire auf wenige Namen beschränkt, die von vielen Menschen getragen wurden, etwa Hans, Heinrich, Konrad, Rudolf oder Anna, Barbara, Verena, Regula. Letz­terer, von einer Lokalhei­ligen stam­mend, komme übrigens fast nur in der Schweiz vor.

Überschätzer Einfluss

Verankert sieht die Wissenschaft­lerin die biblischen Namen vorab durch unsere lange christliche Kultur und Tradition. Bereits 1400 hätten sie die germanischen Namen vom Typ Heinrich und Mechthild verdrängt. «Heute werden sie durch Kurzformen und Namen aus anderen Kulturen konkurrenziert.»

An Skandalen oder Hypes ori­entierten sich Beliebt- und Unbeliebtheit von Namen kaum jemals. «Der Einfluss der Medien wird vielfach überschätzt», hält Berchtold Schiestl fest. Viel eher würden Autorinnen und Drehbuchschreiber ihrerseits trendige Namen in ihre Storys aufnehmen.

Web-Tool mit Daten des Bundesamtes für Statistik zur Veranschaulichung der Häufigkeit einzelner Namen seit 1902.