Schwerpunkt 29. Mai 2024, von Veronica Bonilla Gurzeler

Ein Café hilft gegen die Einsamkeit

Altersfreundliche Gemeinschaft

In Zollikerberg hat die reformierte Kirche einen Dorftreffpunkt mit vielfältigem Angebot geschaffen – aus dem Alterskonzept, das Kirche als Teil der sorgenden Gemeinschaft sieht.

Auf den ersten Blick sieht das Café am Puls im Kirchenzentrum Zolli­kerberg aus wie ein ganz normales Café mit elegant-gemütlichem Ambiente. Um zehn Uhr, eine halbe Stunde nach Öffnung, wird am grossen runden Tisch Zeitung gelesen, ein paar Ältere plaudern, auf der schwarzen Lederbank sind zwei jüngere Frauen in Laptops vertieft. 

Wer etwas genauer hinschaut, merkt schnell, dass das Lokal mehr ist als ein Café. Durch die offene Tür bei der Theke dringen fröhliche Kinderstimmen: Nebenan im grossen Saal wuseln Kinder über den grossen Spielteppich, Väter und Mütter unterhalten sich.

Wunsch der Bevölkerung

Im Bistro hinter der Kaffeebar bespricht die Betriebsleiterin Beatrice Burkhalter mit den Freiwilligen den Mittagsdienst, heute zwei ältere Damen. Beide gehören zum Team von über 40 ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, ohne die es diesen Treffpunkt nicht gäbe. 

Aus unserer täglichen Arbeit wissen wir, dass Einsamkeit ein grosses Thema ist, ganz besonders im Alter. Dagegen wollten wir etwas unternehmen.
Silvia Nigg, Sozialdiakonin Zollikerberg

Doch fangen wir von vorn an. Die Präsidentin der Kirchepflege, Hanna Rüegg, und die Sozialdiakonin Silvia Nigg erzählen an einem Bistrotischchen, wie das Café am Puls entstanden ist. 2018 verabschiedete die reformierte Kirche Zollikon-Zumikon ein neues Alterskonzept.

Zentraler Bestandteil: das Konzept der sorgenden Gemeinschaft, in der Menschen einander unterstützen und gemeinsam Verantwortung für soziale Aufgaben übernehmen. «Aus unserer täglichen Arbeit wissen wir, dass Einsamkeit ein grosses Thema ist, ganz besonders im Alter. Dagegen wollten wir etwas unternehmen», sagt Nigg. 

Idee aus Workshop 

Um Bedürfnisse und Ideen der Bevölkerung abzuholen, lud die Kirchgemeinde 2019 zu zwei Workshops ein. Schnell wurde klar, dass im Kirchenzentrum im östlichen Dorfteil Zollikerberg ein täglich geöffnetes Café gewünscht wird. 

Im September 2020 begannen die Umbauarbeiten und ein Teil des Foyers wurde zum Bistro mit Glasfront zum Platz hin und Blick auf die Kirche. Seit der Eröffnung im November 2020 bildet es das Herzstück des Cafés am Puls, zusammen mit einer Original-Faema-Kaffeemaschine von 1961, die fast gleich alt ist wie das Kirchenzentrum selbst. 

Viele Sozialspielchen finden statt, etwa wenn es darum geht, wer mit wem wie spielt.
Hanni Michel, Café-Besucherin

Kaum war das Café am Puls offen, musste es am 22. Dezember 2020 wegen der verschärften Corona-Massnahmen wieder für mehrere Monate schliessen. «Eine Herausforderung, die uns jedoch enorm zusammengeschweisst hat», erinnert sich Nigg. Das Team entschied kurzerhand, einen Take-away anzubieten. 

Mit Erfolg: «Die Menschen aus den umliegenden Wohnquartieren schätzten die Möglichkeit, bei uns eine warme Suppe oder einen Kaffee zu holen und ein bisschen zu schwatzen.» Als wieder Gäste bewirtet werden durften, machten die Abstandsregeln kreativ: So wurde der Mehrzwecksaal Teil des Cafés und zog von Anfang an Familien an. 

Tagsüber in Kinderhand – mit Seniorinnen 

Das ist auch so geblieben. Ausgestattet mit Spielzeug, einer Brio-Eisenbahn und einer gepolsterten Kletterbrücke etwa, ist der Saal tagsüber fest in Kinderhand. Auch Grosseltern mit ihren Enkeln zählen zu den Gästen, manchmal setzen sich kinderliebende Seniorinnen dazu. 

Zum Beispiel die 81-jährige Hanni Michel, die mit einer Freundin zum Mittagessen gekommen ist. Es sei stets lustig und interessant, den «Knöpfen» zuzuschauen, erzählt sie: «Viele Sozialspielchen finden statt, etwa wenn es darum geht, wer mit wem wie spielt.»

Die älteren Semester schätzen meinen Hackbraten, für die Jüngeren gibts auch mal eine Bowl.
Tatyana Belfiglio, Köchin im Café am Puls

Mittlerweile ist das Café am Puls in Zollikerberg nicht mehr wegzudenken und ein voller Erfolg, nicht zuletzt wegen seiner kreativen Küche. Neben Flammkuchen und Burgern werden jeden Mittag im Schnitt 25 Menüs serviert. «Die älteren Semester schätzen meinen Hackbraten, für die Jüngeren gibts auch mal eine Bowl», sagt Köchin Tatyana Belfiglio, die in einem 70-Prozent-Pensum angestellt ist. 

Das Café am Puls verbinde die Generationen, freut sich Nigg, die regelmässig selber im Café mitarbeitet und den Kontakt mit den Leuten pflegt: «Gerade bei der mittleren und älteren Generation sind die verschiedenen Veranstaltungen und regelmässigen Angebote beliebt.»

Über Generationen hinweg

Einmal im Monat an einem Donnerstagabend laden Pfarrer Simon Gebs und die Journalistin Barbara Lukesch zum Talk im grossen Saal ein. Ebenfalls monatlich finden das Strick- und das Sing-Café statt. 

Ebenfalls beim Singen mit dabei sind Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Sie treffen sich im Bistro einmal pro Woche zum gemeinsamen Mittagessen und danach zur Gesprächsgruppe. Gesellig wird es am Freitagabend, wenn dann nach der regulären Bistro-Schliessung um 17 Uhr ein Team von Freiwilligen die Cocktail-Bar aufstellt und Jazzklänge ertönen. 

Schade ist nur, dass das Café während der Schulferien geschlossen ist.
Hanni Michel, Café-Besucherin

Die Freiwilligen: Ohne ihren Einsatz würde im Café am Puls nichts laufen. Zwar stellt die Kirche für Betriebs- und Programmleitung, Küche, Diakonie und Koordination 210 Stellenprozente zur Verfügung. Die Hauptarbeit wird aber von den freiwilligen Helferinnen und Helfern gestemmt. Genauer: vor allem von Frauen zwischen 60 und 75 Jahren. 

Nie lange allein 

An jedem Tag stehen sechs Leute am Herd, bringen Essen, Getränke, kassieren ein, räumen auf und waschen ab. Weitere sorgen dafür, dass immer genug selbst gebackene Kuchen vorrätig sind. 

Ihre Arbeit wird geschätzt. «Es ist fantastisch, ein solches Café zu haben», schwärmt Hanni Michel und führt eine Gabel mit Erdbeerkuchen zum Mund. Auch wenn man ohne Begleitung komme, bleibe man nie lange allein. Schnell ergebe sich ein gutes Gespräch. Schade findet Hanni Michel nur etwas: «Dass das Café während der Schulferien geschlossen ist.»