«Christlicher Nationalismus wird institutionalisiert»

Politik

Nach dem Wahlsieg des Republikaners Donald Trump dürften sich die Gräben in der Gesellschaft weiter vertiefen, fürchtet Geschichtswissenschaftlerin Kristin Kobes Du Mez.

Wie entscheidend war die christliche Wählerschaft für den Sieg des neuen Präsidenten Donald Trump?
Kristin Kobes Du Mez: Sehr entscheidend. Hätten weisse, regelmässige Kirchgänger, Protestanten wie Katholiken, Trump nicht unterstützt, wäre er wohl nicht unser nächster Präsident. Vor allem innerhalb konservativer Kirchen herrschte ein enormer Druck auf die Mitglieder, Trump wurde als einziger valabler Kandidat präsentiert. Und trotz seiner zum Schluss immer vulgäreren Kampagne, die stark auf Nationalismus und Rassismus setzte, haben ihn weisse Evangelikale laut Nachwahlbefragungen zu über 80 Prozent und damit etwa im gleichen Mass gewählt wie vor vier Jahren.

Wie engagierten sich Kirchen in diesem Wahlkampf konkret?
Kirchen dürfen als nicht profitorientierte Organisationen in den USA keine Wahlempfehlungen aussprechen. Viele konservative evangelikale Kirchen haben sich daran jedoch überhaupt nicht mehr gehalten. Selbst in ihren gestreamten Predigten sprachen sich Pastoren ganz offen für Trump aus. Viele dämonisierten die Demokraten, etwa mit Blick auf das Recht auf Abtreibung. Zwar gab es auch eine Gruppe «Evangelikale für Harris», doch moderate und liberale Kirchen, die Harris zugeneigt waren, hielten sich eher an die Regeln. So entstand ein Ungleichgewicht 

Kristin Kobes Du Mez, 48

Die Geschichtsprofessorin lehrt an der Calvin University im Bundesstaat  Michigan und forscht zu Gender Studies, Religion und Politik. Sie schrieb  als Autorin für die «Washington Post» und die «New York Times». Ihr Buch  «Jesus and John Wayne: How White Evangelicals Corrupted a Faith and Fractured a Nation» wurde 2021 zum «New York Times»-Bestseller. 

Beim Thema Abtreibung ruderte Trump zuletzt zurück. Mit welchen Themen konnte er bei konservativen Christen punkten?
Abtreibung war nicht mehr so wichtig, zuletzt hatte sich Trump eher für Wahlmöglichkeiten ausgesprochen. Aber er hat Christinnen und Christen, besonders weissen Evangelikalen, Macht und Einfluss in seiner nächsten Administration versprochen. Hinzu kommt: Wir gehen oft davon aus, dass die moralischen Werte dieser Wählerschaft nicht mit einem Kandidaten wie Donald Trump übereinstimmen. Doch so einfach ist das nicht.

Sondern?
Umfragen zeigen, dass sich die politischen Ansichten weisser evangelikaler Christen und Trumps Agenda mit Blick auf Einwanderung und Gesetze gegen die LGBTQ-Gemeinschaft weitgehend decken. Stärker als andere demografische Gruppen suchen sie eher einen starken Anführer. In Umfragen fallen sie mit erhöhten Werten auf, wenn es um autoritäre Tendenzen geht.

Trotz der aggressiven Kampagne gegen Einwanderer hat Trump auch stark bei den Christen  mit lateinamerikanischen Wurzeln  hinzugewonnen. Warum?
Trump konnte laut Nachwahlbefragungen bei Katholiken und auch bei Protestanten mit lateinamerikanischer Herkunft zulegen. Eine Rolle spielt sicher das Konzept des Wohlstandsevangeliums, das gerade unter den Evangelikalen charismatischer Ausrichtung von grosser Bedeutung ist: Wer es zu etwas gebracht hat, muss von Gott gesegnet sein. Trump gilt als Beispiel dafür. Hinzu kommt das Patriarchale, der Machismo, der gerade lateinamerikanische Männer anspricht. 

Ich vermute, dass das Attentat Trumps Anhängerschaft in erster Linie noch devoter gemacht hat.

Dass Trump nur knapp einem Attentat entging, wurde von seinen Anhängern als göttliche Intervention dargestellt. Was das ein Faktor?
Geschadet hat es sicher nicht. Schon seinen recht überraschenden Wahlsieg 2016 verstanden evangelikale Kreise als göttliche Fügung. Das Attentat wurde im gleichen Licht interpretiert. Ich vermute, dass es seine Anhängerschaft in erster Linie noch devoter gemacht hat.

Obwohl Religion omnipräsent war, spielte der religiöse Hintergrund der Kandidierenden selbst bei dieser Wahl aber eine weniger grosse  Rolle als auch schon.
Oft ging es in der Vergangenheit stark um die Denomination. Bei dieser Wahl waren die Zugehörigkeiten nicht ganz so relevant. Trump stand einst moderaten protestantischen Kirchen näher, wandte sich dann dem evangelikalen Lager zu. Wohl weniger aus theologischen, sondern aus politischen Gründen. Harris ist Baptistin, die Traditionen schwarzer Gemeinden haben sie geprägt. Stärker im Fokus waren andere Themen: dass sie als Frau und erste schwarze Frau für das Amt kandidiert, ihr südasiatischer Hintergrund. Religion war in erster Linie in der Debatte um christlichen Nationalismus präsent. 

Es lassen sich durchaus Parallelen zu Deutschland in den 1930er-Jahren finden.

Christlicher Nationalismus, der die Nation untrennbar mit dem Christentum verbunden sieht, erstarkte vor allem unter demokratischen Regierungen. Kann es deshalb sein, dass die Ideologie während  Trumps Amtszeit an Kraft verliert?
Tatsächlich entwickelte sich die christliche Rechte seit den 1970er-Jahren besonders gut unter demokratischen Präsidenten, die sozusagen ein Feindbild waren. Und sie schwächte sich unter republikanischer Führung ab. Aber Trump hat das Muster durchbrochen.

Wie hat er das gemacht?
Ich denke, es hat mit seiner Rhetorik zu tun und dem Feindbild, das er seit Jahren pflegt. Selbst als er an der Macht war, hat er an der kriegerischer Wir-gegen-sie-Rhetorik festgehalten. Während seiner ganzen Präsidentschaft erzeugte er ein Klima der Angst. Unter Joe Biden machte er weiter, und auch künftig erwarte ich keine Änderung. Die Sprache, die er spricht, kommt bei konservativen Evangelikalen an. Denn sie verwenden diese Sprache seit Jahrzehnten, wenn sie über Säkulare, Liberale und Feministinnen reden. Ich erwarte, dass christlicher Nationalismus zunimmt und institutionalisiert wird

Mit welchen Auswirkungen?
Das betrifft viele Ebenen. Trump hat deutlich gemacht, dass er den Regierungsapparat von Beamten säubern will, die ihm und seiner Agenda gegenüber nicht loyal sind. Er will die Woke-Ideologie eliminieren, sogenannte traditionelle und patriarchale Werte fördern, was zulasten der Rechte der LGBTQ-Gemeinschaft und Menschen anderer Hautfarbe gehen wird. Auch hat er eine Taskforce angekündigt gegen «antichristliche Voreingenommenheit», was auch immer das genau heisst. Diese Taskforce könnte sich auch gegen Christen richten, die kritisch sind. Ich erlebe heute schon Anfeindungen wegen meiner Arbeit. Allerdings stehen dieser Institutionalisierung auch Hindernisse im Weg. 

In den Kreisen der Harris-Wähler sitzt die Wut auf diejenigen, die Trump wählten, tief.

Welche?
Wer bestimmt, welche Version des Christentums die richtige ist? Müssen vielleicht künftig alle Kinder in der Schule beten? Wenn ja: Wer würde entscheiden, welche Gebete? Welche religiösen Anführer erhalten welche Position? Da könnte es einige Kämpfe um die Ränge geben. Noch allerdings fühlen sich christliche Nationalisten vom Wahlergebnis enorm bestärkt, wie ich auf den sozialen Medien beobachte.

Trumps Gegner ziehen zunehmend Vergleiche mit dem Faschismus. Zu Recht oder Schwarzmalerei?
Natürlich sind wir in einer anderen Situation als Nazi-Deutschland. Doch viele Geschichtswissenschaftler, die sich mit der Nazizeit oder der christlichen Bewegung der Nationalsozialisten oder auch nur mit autoritären Regimes allgemein beschäftigen, warnen vor Ähnlichkeiten: die Verschmelzung des Christentums mit einer speziellen Idee eines Nationalstaates; die Vorstellung, eine Nation gross zu machen; der Mythos einer Rückkehr zu Reinheit und Macht; die Dämonisierung vermeintlicher Feinde. Das alles entspringt direkt autoritären Strategiepapieren. Da lassen sich durchaus Parallelen zu Deutschland in den 1930er-Jahren finden.

Die Gesellschaft war vor der Wahl so gespalten wie nie zuvor. Sehen Sie nach der Wahl eine Chance für Versöhnung?
Ich befürchte eher noch tiefere Gräben. In den Kreisen der Harris-Wähler sitzt die Wut auf diejenigen, die Trump wählten, tief, vor allem im Familien- und Freundeskreis. In den sozialen Medien lese ich, wie Freundschaften gekündigt werden. Die Sorge um die Demokratie war für viele ein wichtiger Grund, um für Harris zu stimmen. Dass aus ihrer Sicht Menschen aus dem Umfeld die Demokratie verraten haben, ist für sie schwer zu ertragen. 

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