Recherche 21. September 2020, von Hans Herrmann

«Die Kirche will breit aufgestellt bleiben»

Reformierte Berner Landeskirchen

Synodalratspräsident Andreas Zeller tritt Ende September altershalber zurück – im Corona-Jahr, in dem er seine Kirche zur Höchstform auflaufen sah.

Herr Zeller, die Hälfte der Berner Wohnbevölkerung ist nach wie vor reformiert. Warum ist das so?

Andreas Zeller: Zum einen, weil in Bern die weltliche Obrigkeit entscheidend an der Reformation beteiligt war. Das sorgte von Anfang an für eine enge, gewissermassen staatsbürgerliche Anbindung der Bevölkerung an die reformierte Kirche. Zum anderen, weil Bern ein bevölkerungsreicher Kanton mit grossen ländlichen Regionen ist, in denen sich die Leute mit der Kirche identifizieren. Kirchentreue gehört zumindest auf dem Land ein wenig zum Berner Charakter.

Allerdings erodiert der Kirchenbezug auch in Bern, jährlich sind rund 4000 Austritte zu verzeichnen. Kein Ende in Sicht?

Das hoffen wir natürlich nicht. Diese Entwicklung ist unter anderem die Folge einer gewissen Entsolidarisierung. Viele Leute denken, ich habe bis jetzt nie von der Kirche profitiert, weshalb sollte ich sie mitzahlen? Deshalb ist es wichtig, dass die Kirche zeigt, was sie zum Wohl der Allgemeinheit leistet. Ihre gesellschaftlichen Leistungen sind gemäss einer Berechnung ungefähr das Doppelte dessen wert, was der Staat an die Pfarrlöhne zahlt. Gerade letzten Frühling während des Lockdowns wurde die Kirche öffentlich sehr gut wahrgenommen.

Konkret?

Noch vor zehn Jahren hatten die Kirchen in der Presse das Image «kleiner, älter, ärmer». Heuer spürte man in den Medien grosse Wertschätzung. Die Kirche hat sich während der Krise ja auch stark eingebracht. Wir von Refbejuso stellten eine Taskforce auf die Beine, die die Kirchgemeinden in ihrem Wirken beriet und unterstützte. Zudem ist ein digitaler Schub durch die Kirchenlandschaft gegangen. All die Videopredigten der Pfarrerinnen und Pfarrer, weiter auch die von der reformierten Landeskirche finanzierte Übertragung von Gottesdiensten auf Telebärn brachten Tausende von Zuschauerinnen und Zuschauern vor den Bildschirm. Auch die Sozialdiakone und -diakoninnen waren enorm aktiv.

Die gesellschaftlichen Leistungen sind das Doppelte dessen wert, was der Staat an die Pfarrlöhne zahlt.
Andreas Zeller

Trotzdem: Manche Beobachter geben dem Modell «Volkskirche» keine grosse Zukunft. Wohin bewegt sich die Kirche?

Es kommt darauf an, wie man Volkskirche definiert. Nicht auf die Grösse kommt es an, sondern auf die Ausrichtung. Wir wollen eine breit aufgestellte Kirche bleiben, diskussionsoffen und bekenntnisfrei. Klar ist, dass die Reformierten im Kanton Bern noch für lange Zeit die grösste Glaubensgemeinschaft bleiben werden.

Einen reformierten Hintergrund haben auch die vielen Freikirchen im Kanton Bern. In Ihrer Amtszeit haben Landeskirche und Freikirchen Regeln für einen respektvollen gegenseitigen Umgang unterzeichnet. Was steckt dahinter?

Dahinter steckt die Einsicht, dass innerevangelische Ökumene wichtig ist und zum gegenseitigen Verständnis beiträgt. Es gibt auch Doppelmitglieder, die zugleich der Landeskirche und einer freien Gemeinschaft angehören. Bei uns im Kanton Bern herrscht schon seit Längerem eine Toleranz und ein Mit-einander, wie es in manchen anderen Kantonen kaum möglich wäre. Diese Kultur gilt es weiterhin zu pflegen und zu bewahren.

Die traditionell enge Beziehung von Kirche und Staat im Kanton Bern ist in Ihrer Amtszeit gelockert worden. Bedauern Sie dies?

Es ist gut so, wie es ist. Wir waren bei der Gesetzesrevision stark eingebunden und konnten unsere Anliegen einbringen. Die 35 Millionen für die Pfarrlöhne zahlt weiterhin der Staat, auch wenn die Pfarrschaft jetzt bei der Landeskirche angestellt ist. Die zweite Säule – sprich ein zusätzlicher jährlicher Staatsbeitrag von derzeit 25 Millionen – misst sich an unseren gesamtgesellschaftlichen Leistungen und wird alle sechs Jahre neu ausgehandelt. Die Beziehung Kirche-Staat ist bei alledem immer noch eng. Zumal wir uns bei der Kirche ebenfalls nach dem kantonalen Gemeinde- und An-stellungsrecht richten.

Die Kirchen streichen als «Verkaufsargument» gegenüber der Politik vor allem ihre soziale Arbeit heraus. Das bildet aber nur einen kleinen Teil der Kirche ab.

Im Jahr 2024 handeln wir mit dem Kanton unsere zweite Beitragssäule neu aus. Dabei werden wir uns möglichst breit positionieren und nebst unseren sozialen Leistungen zum Beispiel auch jene in den Bereichen Musik, Kulturvermittlung, Bildung, Gebäude und interreligiöser Dialog einbringen.

Die Reformierten werden im Kanton Bern noch lange die grösste Religionsgemeinschaft bleiben.
Andreas Zeller

Die Berner Regierungsrätin und Kirchendirektorin Evi Allemann will nicht nur die Landeskirchen und die jüdische Gemeinschaft, sondern auch andere Religionsgemeinschaften mit Staatsgeld alimentieren. Wie finden Sie das?

Diese Äusserung von Evi Allemann in einem Interview ist wohl etwas vorschnell gefallen. Wer im Kanton Bern den Islam unterstützen will, muss bedenken, dass sie oder er ein schwieriges Feld auftut. Über solche Pläne wird noch viel und intensiv gesprochen werden müssen. Unterdessen tönt es vonseiten der kantonalen Kirchendirektion wieder etwas zurückhaltender.

Welches war für Sie der wichtigste Meilenstein in Ihrer Amtszeit – ausgenommen das bereits erwähnte Kirchengesetz?

Der Bezug des Hauses der Kirche 2012 hier am Altenberg. Hier konnten wir endlich die gesamtkirchichen Dienste zentralisieren. Das wiederum erleichterte unsere intensive Mitwirkung an der Revision des Landeskirchengesetzes und die Umsetzung innerhalb der Kirche enorm. Die vielen und auch intensiven Arbeitstreffen wären sonst kaum zu organisieren gewesen.

Übergeben Sie Ihrer Nachfolgerin Judith Pörksen Roder eine Kirche, die für die Zukunft gerüstet ist?

Ja, wir haben die angefangenen Aufgaben zu Ende gebracht, speziell auch die anstellungsrechtliche Übernahme der Pfarrschaft. Dabei handelte es sich um einen grossen administrativen Brocken. Meine Nach-folgerin kann ein bestelltes Haus übernehmen – und neue Herausforderungen anpacken.

Und Sie – sind Sie für die Pensionierung gerüstet?

Ich denke schon. Ich werde sicher kirchengeschichtlich etwas machen und mich im Predigtnetzwerk zur Verfügung halten, zudem möchte ich mich mehr bewegen und auch meine Gitarre wieder hervorholen. Seit meinen Jugendzeiten spiele ich gerne Rock und Blues.

Andreas Zeller, 65

Zuerst war der promovierte Theologe Pfarrer in Flamatt, danach in Münsingen. 1999 wurde er Mitglied des Synodalrats, und im Oktober 2007 trat 
er sein Vollamt als Synodalratspräsident von Refbejuso an. Gemäss Altersregelung tritt er nun zurück. In seiner Amtszeit entstand ein neues Landeskirchengesetz. Der Jahrzehntbericht der Kirche erschien erstmals online, und mit «Ensemble» bekam die Kirche ein internes Organ. Ein weiterer Meilenstein war die Vision Kirche 21.