Bodenhaftung im weiten Universum

Kultur

Der Dokumentarfilm «Architektur der Unendlichkeit» von Christoph Schaub ist das bisher persönlichste Werk des Regisseurs. Der Film macht einen schweren Begriff,

Viele haben sich schon mit der Unendlichkeit befasst: Naturwissenschaftler, Theologen, Philosophen, Mystiker und Astronomen. Sie haben geforscht, gemessen, beschrieben. Wie man sich Unendlichkeit vorstellen soll, weiss trotzdem niemand so genau. Bald kommt nun ein Film in die Kinos, der sie sanft und berauschend spüren lässt.

Die Klarheit der Gedanken
«Architektur der Unendlichkeit» von Regisseur Christoph Schaub schafft es, in 85 Minuten einen grossen, abstrakten Begriff fassbar zu machen. Im Laufe des Films empfindet man immer stärker die Erdanziehungskraft und gleichzeitig die Weite des Universums. Und beruhigendes Aufgehobensein.

Christoph Schaub, der bisher rund 30 Spiel- und Dokumentarfilme mit bekannten Titeln wie «Giulias Verschwinden» oder «Amur senza fin» gedreht hat, gelingt dies mit starken Bildern und Ton, ruhiger Kameraführung und klaren Gedanken der sechs Protagonisten, deren Werke gezeigt werden: die Architekten Peter Zumthor, Peter Märkli und Alvaro Siza Vieira, die Künstler James Turrell und Cristina Iglesias sowie der Drummer Jojo Mayer, der den Film musikalisch unterlegt hat.

Das Kunststück gelingt auch, weil Schaub das Thema in seine Biografie eingebettet hat. So beginnt der Film mit seiner Stimme aus dem Off: «Als ich ein Kind war, glaubte ich an Gott. Mich beschäftigten zwei Probleme: Mein Vater war schwer krank, und ich war schlecht in der Schule. Ich war überzeugt, dass mein Vater durch tägliches Beten gesund wird und ich ein guter Schüler. Doch es nützte nichts. Mein Vater starb.» An der Beerdigung weigerte er sich, in der Kirche vom Vater Abschied zu nehmen.

Innere und äussere Räume
Viel später wirkten Kirchen anziehend auf ihn. Er war knapp 60 Jahre alt, als Schaub sich aufmachte, seine Faszination für Kirchenarchitektur filmisch zu erkunden, in der Schweiz, in Deutschland, Portugal, Schweden, Frankreich und Spanien. Eine Erzählung über Architektur könnte statisch ausfallen, nicht so «Architektur der Unendlichkeit». Denn der Film erschliesst neben äusseren die inneren Räume, indem die Kamera nicht allein durch die Werke der Protagonisten gleitet, sondern auch über spielende Kinder und durch die Natur.

Über die Bauwerke wird nicht viel gesprochen, sondern es werden persönliche, existenzielle Fragen gestellt. So lässt Peter Zumthor einen Schmerz erahnen, als er auf einer Kirchenbank im Kloster Mariastein erzählt, dass der Ort mit seiner Familie zu tun hat und mit dem Versprechen in seiner Jugend, dass ein lieber Gott zu uns schaut – was aber leere Worte für ihn wurden.

Alvaro Siza Vieira erklärt, dass seine Sekretärin jeden Morgen das abschreckende Foto auf seiner Zigarettenschachtel mit Papier zukleben muss, damit er etwas Schönes darauf malen und Gedanken an Tod und Krankheit fernhalten kann. Und James Turrell erinnert sich, wie er als Kind während des Zweiten Weltkriegs Löcher in die Verdunkelungsvorhänge stach und so auch bei Tag die Existenz der Sterne spürte. Dieses Gefühl kommt deutlich in seinem «Skyspace» in Zuoz zum Ausdruck, wo gerade die Begrenzung der Sicht in den Himmel die Grenzen aufzuheben vermag.

Der Mittelpunkt ist überall
Genau das zeigt der Film: Wie bestimmte Räume die Sinneswahrnehmung übersteigen und ein Gefühl von Transzendenz und von der Unendlichkeit kreieren. Das, was der Theologe Nikolaus von Kues schon im 15. Jahrhundert sagte: Dass der Mittelpunkt des Universums überall ist und die Grenze nirgends. «Was Künstler und Architekten hervorbrachten, ist viel mehr Kirche als das, was aus der Feder von Priestern stammt», sagt Turrell einmal. Wer könne schon Spiritualität für sich beanspruchen? «Architektur der Unendlichkeit» ist der bisher persönlichste Film Schaubs. Dieser Tage wird er an den Solothurner Film­tagen gezeigt. Ab 31. Januar läuft er in den Schweizer Kinos.

Architektur der Unendlichkeit