Das Hamsterrad verlassen und auf der Kanzel gelandet

Pfarramt

Markus Haltiner aus Dübendorf und Monika Hirt aus Zürich wurden auf dem zweiten Bildungsweg Pfarrer und Pfarrerin. Sie absolvierten den Studiengang Quest.

In Anzug und mit lila Krawatte steht Markus Haltiner am 23. August in der Kirche Schwerzenbach und begrüsst vor dem Gottesdienst die Besucherinnen und Besucher. «Guten Morgen, wie gehts?» Die meisten kennt er mit Vornamen, oft wechselt er persönliche Worte. Der 59-Jährige wirkt locker und routiniert, dabei ist er erst seit einem Jahr Pfarrer: Haltiner durchlief ­eine typische Marketingkarriere, bevor er Theologie studierte.

Im Gottesdienst bei der Taufe nimmt er darauf Bezug. Ein Kind zu taufen, sei wunderschön, sagt er.  «Da weiss ich wieder, warum ich in fortgeschrittenem Alter so ein aufwendiges Studium gemacht habe», sagt er und schmunzelt. 

Kommunikator am Werk

In seiner Predigt über eine Passage aus dem Römerbrief fragt er, wie wir Menschen Gott «wohlgefällig» leben können, wie es Paulus nennt. «Das Herz sagt uns viel konkreter als der Verstand, wie wir Gutes tun», erklärt der Pfarrer, der sich spürbar um Verständlichkeit bemüht. Seine Fähigkeiten als Kommunikator hat Haltiner nach seinem Betriebswirtschaftsstudium in Verkauf und Marketing trainiert, zehn Jahre davon für zwei Schweizer Firmen in Japan. Und anschliessend als Gemeindepräsident von Klosters. 

Die Konfirmation seiner zwei Kinder und der Tod seiner Mutter hätten ihn wieder näher zur Kirche gebracht, erzählt er. «Nach 30 Jahren im Hamsterrad spürte ich den Wunsch, etwas Sinnerfüllteres zu tun und Neues zu lernen.»

Neue Impulse für Kirche

Haltiner absolvierte von 2015 bis 2018 den Studiengang Quest an den Universitäten Zürich und Basel, der Akademikerinnen und Akademikern  den Quereinstieg in den Pfarrberuf ermöglicht. Er ist einer von 16 Personen, die bisher abgeschlossen haben, und einer von 9, die in ein Pfarramt gewählt wurden. 

Quest läuft bald in der vierten Auflage und wird getragen von den Konkordatskirchen im Tessin und der Deutschschweiz (ohne Bern-Jura-Solothurn) sowie den Theologischen Fakultäten Zürich und Basel. Thomas Schaufelberger von der Zürcher Landeskirche schwärmt von den Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern: «Sie bewähren sich in den Gemeinden, geben gute, neue Impulse und sind Teamplayer.» Auch vor Quest gab es Leute, die Theologie auf dem zweiten Bildungsweg im regulären Theologiestudium studierten. Monika Hirt ist eine von ihnen. Die Pfarrerin im Zürcher Kirchenkreis neun wechselte erst gegen Ende des Studiums zu Quest, um ein Jahr früher als geplant das Vikariat anzutreten.

Die Tiefe hat gefehlt

Als Pfarrerin habe sie einen Allround-Beruf, erzählt Hirt. «Das gefällt mir sehr, ich konnte mir immer viele Berufe vorstellen.» Heute betreut sie schwerpunktmässig Senio­rinnen und Senioren und gestaltet Angebote in der Erwachsenenbildung. Im Winter veranstaltet sie ein Kino mit Frauenfilmen nur für Frauen. Damit knüpft die 56-Jährige an ihren früheren Beruf an: Nach dem Studium der Germanistik und Philosophie arbeitete Monika Hirt für Gleichstellungsbüros. 

Pfarrerin zu werden, sei eine «kontinuierliche Entwicklung» gewesen, sagt Hirt. Als langjährige Kirchenpolitikerin lernte sie die Kirche bestens kennen. Von 2006 bis 2013 war sie Ratspräsidentin der Landeskirche Zug. «Das Behördliche war spannend, aber mir fehlte mit der Zeit die Tiefe», erzählt sie. Ihre drei Kinder seien anfänglich schockiert gewesen von ihrem Vorhaben, Pfarrerin zu werden. Später gewöhnten sie sich daran und zogen gerne mit von Zug nach Zürich. 

Dank ihres Alters habe sie Anknüpfungspunkte zu verschiedenen Generationen, sagt Hirt. Das sei ein Vorteil im Pfarramt. Auch Haltiner glaubt, dass er von Reife und langjähriger Führungserfahrung profitiert. «Mit 25 Jahren wäre mir nicht im Traum eingefallen, Theologie zu studieren.» Am liebsten begleitet er Menschen rund um Tod, Taufe und Hochzeit. In den Kasualien stecke ein riesiges Poten­zial, ist er überzeugt. Bald will er ein im Vikariat begonnenes Projekt für Kirchenferne wieder aufnehmen.

Mühe bei Stellenbesetzung

34 Personen studieren zurzeit im Quest-Lehrgang und werden künftig ins Pfarramt gehen. Das ist nötig. Denn der schon lange prognostizierte Pfarrmangel wird ab 2020 spürbar. Laut Schaufelberger haben sogar grosse und zentrumsnahe Gemeinden vermehrt Mühe, Pfarrstellen zu besetzen. Bis 2032 fehlen in der Deutschschweiz total 500 neue Pfarrerinnen und Pfarrer.

Haltiner und Hirt können sich gut vorstellen, nach der Pensionierung in Pfarrämtern Stellvertretungen zu übernehmen. «Startet man erst mit 54 Jahren im Beruf, steckt man mit 64 oder 65 noch mittendrin», sagt Hirt.