Recherche 04. Januar 2021, von Cornelia Krause

Die Bibel antwortet auf Schlagzeilen

Theologie

Mit Bibelversen auf die Schlagzeilen des Tages reagieren: Ein Social-Media-Projekt von Kirchenrat Andrea Marco Bianca wurde nun als «Hoffnungszeichen» in Buchform veröffentlicht.

Manchmal waren sie alarmistisch, oft beunruhigend, und wohl seit Jahrzehnten wurden sie nicht mehr so genau verfolgt wie in diesem von der Pandemie überschatteten Jahr: Schlagzeilen. «Im Grunde konnte man keinen Tag ohne sie beginnen, und wer den Griff zu Zeitung oder Smartphone doch scheute, begegnete ihnen auf Monitoren im öffentlichen Raum, im Tram oder auf den Bahnhöfen», sagt Kirchenrat Andrea Marco Bianca.

Den Pfarrer aus Küsnacht ZH inspirierte die Zeit der Pandemie deshalb zu einem besonderen Projekt. Während des ersten Lockdown postete er auf seiner Facebook-Seite täglich eine aktuelle Schlagzeile und setzte ihr ein Bibelzitat entgegen. Die dabei entstandene Sammlung wurde nun als «Hoffnungszeichen» gebunden veröffentlicht. Für das Buch baten Bianca und seine Partnerin, Pfarrerin Katharina Hoby, zudem Menschen, vielfach Prominente aus Wirtschaft, Kultur oder Sport, um Kommentare zu jeweils einem Zitat aus der Zeitung und der Bibel.

Die Augenhöhe ist entscheidend

Er wolle zeigen, dass die bei vielen in den Hintergrund gerückte Bibel Antworten auf die omnipräsenten Schlagzeilen finde. «Und zwar auf Augenhöhe», sagt Bianca. Auf den Titel «Corona spaltet die Schweiz» im «Sonntagsblick» antwortet er zum Beispiel mit Psalm 60,4: «Du hast die Erde erschüttert, hast sie gespalten. Heile ihre Risse, denn sie wankt.» Auf die Schlagzeile aus der «SonntagsZeitung», dass die Corona-Krise die Ungleichheit verstärkt, wiederum trifft Römerbrief 12,16: «Seid allen gegenüber gleich gesinnt; richtet Euren Sinn nicht auf Hohes, seid vielmehr den Geringen zugetan.» Grafisch dargestellt wird das Zusammenspiel aus Headline und Bibelzitat jeweils von Mitgliedern der Schweizerischen Kalligraphischen Gesellschaft.

«Ich war selbst erstaunt, wie gut die Bibel die Gefühle der Menschen in dieser Zeit wiedergibt», sagt Bianca. Der Theologe suchte die Zitate, ohne den Kontext zu beachten, wie er es für Tauf- und Konfirmationssprüche macht. Ein Grossteil stammt aus der Weisheitsliteratur des Alten Testaments, von den Propheten und aus den Paulusbriefen.

Einsamkeit, Angst und wirtschaftliche Not

In den Kommentaren widerspiegeln sich die Ängste und Nöte der Menschen während der Pandemie. Die Bandbreite der Autoren reicht von FCZ-Präsident Ancillo Canepa über Verlegerin Ellen Ringier bis hin zu Lindt-&-Sprüngli-Präsident Ernst Tanner. Bianca und Hoby liessen sie die Texte selbst aussuchen. Wenig überraschend, nahmen sich der Unternehmer Walter Frey oder der Flughafen-CEO Stephan Widrig Überschriften aus den Wirtschaftsressorts an und warfen ein Schlaglicht auf die Herausforderungen der Pandemie für Unternehmen.

Auch Menschen, deren Alltag das Virus radikal verändert, kommen zu Wort. Die Bewohnerin eines Altersheims schreibt über Einsamkeit und Angst. Eine Pflegefachfrau aus dem Unispital appelliert an die Solidarität der Bevölkerung.

Paulus hätte genügt

Die Affinität zu Christentum und Kirche spielte bei der Auswahl der Kommentatoren keine Rolle. Den aus Afghanistan geflüchteten Studenten und Autor Seyid Hussein Husseini erwischte der Lockdown kurz vor der Maturaprüfung. Zur Titelzeile «Generation Corona: Und wer denkt an uns?» schreibt er über das Lernen und die Hoffnung als unscheinbaren Funken, der uns antreibt. Glaube, Liebe, Hoffnung: Sie klingen nicht nur in den Bibelzitaten, auch in vielen Texten an.

Die Sammlung endet im September, damals waren die Fallzahlen tief. Nun, da täglich rund 100 Menschen am Virus sterben, scheint das Projekt so aktuell wie damals. Bianca erwägt eine Wiederaufnahme. Der eindrücklichste Bogen gelingt zwischen «Die Stärke der Verletzlichkeit» (NZZ) und dem Korintherbrief: «Wenn ich schwach bin, dann bin ich stark». Für Thomas Heiniger, Präsident des Schweizerischen Roten Kreuzes, ist das Wissen um unsere Verletzlichkeit das, was uns wirklich stark macht. «Schade, brauchte es dazu Corona», schreibt der alt Regierungsrat. «2. Korinther 12,10 hätte genügt.» (Andrea Bianca: Hoffnungszeichen. Reinhardt-Verlag, 2020, 144 S., Fr. 24.80.)