Die Küche und das Leben teilen

Wohnen

Der Theologe Ueli Wildberger wohnt seit 40 Jahren in einer WG. Seit kurzem an einem neuen Ort. Er will ganz bewusst einfach leben.

«Willkommen, hier ist unser neues Zuhause», sagt Ueli Wildberger und macht mit dem Arm eine einladende Bewegung. Er steht im Eingang der Fünf-Zimmer-Wohnung in Zürich-Witikon, wo er seit ­Juni mit seiner Frau France und drei Studentinnen und Studenten lebt. France Wildberger schmunzelt und sagt: «Wir gewöhnen uns langsam an all die Elektronik.»
Elektronisch gesteuert werden im Minergie-Neubau etwa die Temperatur und die Lüftung. Wildbergers sind hierhergezogen, weil sie ihre Acht-Zimmer-Wohnung an der Agnesstrasse im Stadtkreis vier verlassen mussten. Dort haben sie 40 Jahre in einer Siebner-WG gelebt, 137 Mitbewohnerinnen und Mit­bewohner hatten sie schon. In der Küche der neuen Wohnung stehen neben der italienischen Espressokanne Getreideflocken und Linsen in Einmachgläsern. «Ein einfacher Lebensstil ist zentral für uns», erklärt Ueli Wildberger.

Strassenschlachten in Berlin

Dann setzt sich Wildberger an den Küchentisch und spricht über die wichtigsten Themen in seinem Leben. Die Wohnform gehört dazu. «Ge­meinschaft zu leben, ist mir wich­tig, denn die Vereinzelung in der Ge­sellschaft wächst.» Dem Gesagten verleiht er Nachdruck, indem er bei­de Hände hebt.

Der 76-Jährige ist geprägt vom Geist der 68er-Jahre. Damals kamen Wohngemeinschaften auf. Und Ueli Wildberger stiess auf ein weiteres Lebensthema: die Gewaltfreiheit. Prägend waren die Studentenrevolten, die er während des Theologiestudiums in Berlin erlebte. «Die Strassenschlachten haben mir gezeigt, dass uns Gewalt nicht weiterbringt.» Nach der Rückkehr in die Schweiz, beteiligte er sich an Friedensaktionen und an der Besetzung des AKW Kaiseraugst. 1973 verweigerte er den Militärdienst und ging dafür drei Monate ins Gefängnis.

Ueli Wildberger studierte intensiv die Friedensaktionen von Mahatma Gandhi und Martin Luther King sowie den Lebensweg von Jesus. Diese Zeugnisse haben ihm gezeigt, «dass Frieden mehr ist als kein Krieg». Wildberger geht es um ­eine «aktive Gewaltfreiheit»: In der Gemeinschaft soll aktiv Frieden gestiftet werden. Für den Internationalen Versöhnungsbund Ifor, deren Schweizer Zweig er präsidiert, leitet Wild­berger Konflikttrainings mit Erwachsenen. Von der Kirche wünscht er sich mehr Einsatz. «Ich frage mich: Wann entdeckt auch sie die Gewaltlosigkeit Jesu als ihr Geschenk an die Welt?»

Die Kraft des Glaubens

Wenn Wildberger erzählt, wirkt er nie verbittert. Er lacht oft, sein Blick ist sanft. Den Grund für seine positive Grundhaltung ortet er im Glauben. Er ist überzeugt: «Wir Menschen haben den Gang der Welt nicht in der Hand. Ich setze mich für den Frieden ein, aber ob ich das Richtige tue, weiss nur Gott.» Daher lege er sein Leben im Gebet immer wieder «in Gottes Hand».
Eine Mitbewohnerin durchquert auf dem Weg ins Bad die Küche. «Schon im Interview?», fragt sie. Wildberger lacht. Das Zusammenleben mit jungen Menschen empfinde er als Bereicherung. Damit das WG-Leben gelingt, braucht es «eiserne Regeln». Zum Beispiel gilt: Wer Geschirr braucht, räumt es nachher sofort weg. Und stört jemanden etwas, spricht er oder sie es an. «So kann ich regelmässig meine eigene Konfliktfähigkeit überprüfen», sagt Wildberger. Seine Augen leuchten.Der

Ueli Wildberger, 76

In Hemmental SH geboren, studierte er in Zürich und Berlin Theologie. Um sich freiwillig in Friedensarbeit und Anti-AKW-Bewegung zu engagieren, war er stets nur rund 50 Prozent angestellt. So bei der Notschlafstelle, dem Christlichen Friedensdienst und der Friedensorganisation Ifor.