Montag, 30. Mai, gegen 19 Uhr: Giacometti hatte einen guten Tag. Alberto Giacometti , der Maler. Sein Porträt von seinem noch berühmteren Bruder Giovanni war gefragt. Auf dem grossen Monitor im Saal des Zürcher Kunsthauses schnellten die Ziffer nach oben – in Franken, Euro, Dollar und Rubel. Telefonbieter mischten sich ein, per Internet wurden höhere Summen geboten.
Der Start lag bei moderaten 50000 Franken. Bei 250.000 Franken hiess es: «Zum ersten, zum zweiten!». Erst dann donnerte der Hammer des Christie’s- Auktionators nieder.Auf die Kanzel, auf der der Auktionator seine Preise verkündet hatte, stieg wenige Minuten später Pfarrer Niklaus Peter. Sein Auftrag: Mit einer Art Kunstgottesdienst die Manifesta 11 eröffnen, die grosse internationale Kunstaktion und Ausstellung, die Zürichs Kulturagenda in diesem Sommer bestimmen wird.
Als-ob-Predigt.
Für den Pfarrer vom Fraumünster gehört Kunstverstand quasi zum Pflichtenheft. Denn er ist auch Hausherr der Kirche mit den Chagall-Fenstern. Aber Peter wollte keine Predigt für den Kulturprotestantismus halten und erlesene und angelesene Bildungsfrüchte servieren. Von Anfang an setzte er einen Akzent gegen die narzistische Selbstvergottung. Zweifelnd begann er seine Als-Ob-Predigt und fragte sich: Spricht er hier als Privatperson Peter oder spricht er im Namen Gottes bei dieser «gottesdienstähnlichen Zermonie»?
Der Konjunktiv war der raffinierte Schachzug, der den als Kunstaktion getarnten Gottesdienst durchzog. «Jetzt käme» leitete Peter die verschiedene Abschnitte ein, um das liturgische Gerüst von der Sammlung über die Predigt bis hin zu den Fürbitten zu zelebrieren. Den Angelpunkt der Kurzpredigt für die Manifesta-Gemeinde gab ein Paulus-Wort aus dem Korintherbrief 3,6 vor: «Ich habe gepflanzt, Apollos hat bewässert, Gott aber liess es wachsen.
«Gott lässt es wachsen».
Apollos, der Organisator, der für die Miete des Versammlungslokals, für die Essenseinkäufe sorgt, sei eben für das Überleben der Christengemeinde genauso wichtig wie der Sämann Paulus. Von hier schlug der Manifesta-Prediger den Bogen zum Kunsthandel. Wer jene verteufele, die Kunst den zahlenden Kunstfreunden vermitteln und damit die Künstler ins Brot setzten, lässt sich nach Peter von einer «schlechten Romantik» leiten. Aber einen Einwand kann sich der Pfarrer auf der Christie-Kanzel nicht verkneifen: «Es gibt Fakten, die uns erschüttern: Wenn Kunstwerke zwei- bis dreistellige Millionenbeträge wert sind, und ein Menschenleben – wie Ökonomen berechnen – nur noch ein Bruchteil davon.» Von daher die Ermahnung Peters an die kreativen Künstler wie an die Kunstvermittler- und händler: «Nicht du. Gott lässt es wachsen. Du bist nur Mitspieler, Mitkünstler, Mitgeniesser.»