«Auch ich habe, als ich geboren war, Atem geholt aus der Luft, und bin gefallen auf die Erde, die alle in gleicher Weise trägt.»
So beginnt ein Vers aus dem Buch der Weisheit Salomos. Ein schöner Einstieg, um über das Weihnachtsfest nachzudenken. Hier denkt ein Mensch aufrichtig über Grundlegendes nach: Wie er nach der Geburt
zuerst – mit oder ohne Klaps – tief Atem holt, die Luft, die allen Menschen gemeinsam ist, einatmet.
Und dann laut weint oder leise wimmert, weil nach der Geborgenheit des Mutterbauchs alles so ängstigend ist: «Und Weinen ist wie bei den andern mein erster Laut gewesen und bin in Windeln gelegt und voll Fürsorge aufgezogen worden. Denn auch kein König hatte jemals einen andern Anfang seines Lebens, sondern sie haben alle denselben Eingang in das Leben und auch den gleichen Ausgang» (Weisheit Salomos 7,3–6). Mag es Unterschiede geben – und es gibt schreiende Unterschiede –, Anfang und Ende sind bei allen gleich.
Von den Wunderlichtern befreit
Vielleicht hat man die Geschichte vom Königskind in der Krippe einfach schon zu oft gehört. Da hilft es, die Weihnachtsgeschichte von allzu frommen Beleuchtungen, Wunderlichtern und Düften zu befreien: Einatmen, Angst, Schreien, Gehalten- und Getröstetwerden – und Windeln. So beginnt ein Leben, bis es mit dem letzten Atemzug endet und am Ostermorgen ein neues Kapitel aufgeschlagen wird.
Auch Franziskus von Assisi war die theologisch-dogmatische Rede von Christus zu abstrakt, zu kalt geworden. Er spielte deshalb mit seinen Leuten in Greccio die Geburt Jesu nach, um die Armseligkeit, die Kälte, das wirkliche Leben zu spüren. Daraus wurden später die Weihnachtsspiele und Krippenfiguren: Man sollte den irdischen Anfang Christi nicht vergessen. Ein Kind, das wie alle Menschen geboren wurde: Einatmen, Angstmomente, Weinen und Windeln.
Untertauchen und loslassen
Auch das kleine Jesuskind holt Luft, und mit dem ersten Atemzug beginnt sein Leben, seine Eltern sorgen für ihn, trösten ihn, sprechen mit ihm, ermahnen ihn, sein Vater geht mit ihm in die Synagoge. Jesus wächst in eine Welt des biblischen Geistes hinein, der Thora, der Psalmen, der Propheten, der Weisheit. Er wächst ganz wie ein normaler Mensch auf, der Zimmermannssohn aus Nazaret.
Und dann zieht es Jesus zu Johannes dem Täufer, er lässt sich taufen. Taufe heisst: wirkliche Zuwendung zu Gott, Untergetauchtwerden. Alles soll abgewaschen, losgelassen werden, was ungut ist. Auftauchen heisst: neu einatmen, aufatmen – in einem neuen Geist. Dieser Jesus aus Nazaret realisiert, dass er eine Aufgabe, einen Auftrag hat von Gott her. Er beginnt zu predigen.
Predigten zum Auftatmen
Es sind Predigten zum Aufatmen. Gottes Wort erhält eine helle Weite: Frieden finden und Frieden leben, Vergebung. In den Worten weht Gottes Atem. Freiheit, aber auch Ernst werden neu lebendig: «Selig sind, die Frieden stiften, sie werden Söhne und Töchter Gottes genannt werden.» Worte, die nachdenklich machen: «Was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber seine Seele verliert?» Worte, die herausfordern: Wie oft man einem Mitmenschen vergeben müsse, fragt jemand. Vielleicht siebenmal? Jesus antwortet: «Ich sage dir, nicht bis zu siebenmal, sondern bis zu siebenundsiebzigmal.»
Heisse, energische Worte auch: «Wehe euch, ihr Schriftgelehrten und Pharisäer, ihr Heuchler!» Und trotz aller Empörung nirgends Hass. Das zeigt die Passionsgeschichte: «Vater, vergib ihnen! Denn sie wissen nicht, was sie tun.» Und dann, mit dem Klageschrei eines Psalms – «Mein Gott, warum hast du mich verlassen?» – der letzte Atemzug.
Weihnachten für einmal von den grundlegenden Erfahrungen her feiern, das Leben eines wirklichen Menschen feiern, der wie jedes Kind auf die Welt kam als fragiles Wesen, das mit dem ersten Atemzug teilnahm an Gottes Schöpfung, der Freiheit, den Hoffnungen, aber auch den Konflikten. Der teilnahm am Geist Gottes, an seiner Liebe, einem Geist zum Durchatmen und Aufatmen.
Der lange Atem der Liebe
Etwas von diesem Aufatmen weht durch alle Weihnachtsgeschichten, alte und neue. Aufatmen angesichts der Botschaft, «dass allem Volk Freude widerfahren wird, denn uns ist heute der Heiland geboren».
Man darf solche Sätze nicht geistlos werden lassen, indem man sie nur aus Tradition wiederholt – oder insgeheim für lächerlich hält. Das sind sie nicht, sie erzählen eine radikale Geschichte von einem Menschen, der für Gottes Menschlichkeit transparent wurde. Ein Leben, dem Konflikte und Leid und schliesslich ein schmerzvoller Tod nicht erspart blieben, ein Leben aber mit der Liebe als Hauptmelodie.
Am schönsten sagt es der Apostel Paulus, wenn er von menschlicher Liebe redet, in welcher der radikale Geist Gottes weht: «Die Liebe hat den langen Atem, gütig ist die Liebe, sie eifert nicht. Die Liebe prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf» (1. Kor 13). Das sind weihnächtliche Worte, weil sie von einer Liebe mit langem Atem reden.