Von den Grenzen der Kunst

Kunst

Fraumünsterpfarrer Niklaus Peter erklärt, warum er die Kirche auch für provozierende Künstler öffnet und weshalb er ein Mickeymouseabendmahl jenseits findet.

Herr Peter, Sie haben anlässlich der Manifesta-Eröffnung eine Kurzpredigt gehalten, in der Sie über das Verhältnis von Kirche und Kunst reflektierten. Verschiedene Medien haben darüber berichtet. Gefällt Ihnen die Aufmerksamkeit?

Ich freue mich immer über Kommunikation, die nicht nur im Kirchenraum, sondern auch ausserhalb stattfindet. Sie ist wichtig für unsere Kirche. Wir erreichen dadurch viele gebildete Leute, die in einer gewissen Distanz zur Kirche stehen, ihr aber auch mit Interesse begegnen und sie finanziell mittragen. Mit solchen Arten von Kommunikation können wir zeigen, wie interessant und vielschichtig die christliche Tradition ist. Und wie viel Kunst da drin steckt.

Ist zeitgenössische Kunst im Kirchenraum auch ein bisschen zum Trend geworden, speziell  auch hinsichtlich sich leerender Kirchenräume, die wieder belebt werden sollen?

Zu einem Trend, dem ich nicht ganz unkritisch gegenüberstehe. Wie ich bei der Manifesta-Rede sagte: Manchmal wird Künstlern eine unglaubliche Bühne zur Verfügung gestellt, obschon sie nicht wirklich an den Inhalten unserer Kirche interessiert sind. Richtig stark finde ich Kunst dann, wenn sie neue Sichtweisen sucht. Neue Darstellungsformen von dem, was unsere christliche Tradition lebendig hält. Wenn sie ein Spiegel ist, der uns zeigt, wer wir wirklich sind. Dabei sollten wir als Kirche mehr Selbstbewusstsein haben und auch mal Nein sagen können.

Wo ziehen Sie die Grenzen?

Wenn Schock, Pornografie, Blasphemie und das Verletzen von Personen und Sachen im Vordergrund stehen. Wohlgemerkt, Kunst ist freieste Tätigkeit, auch wenn mir die platten Provokationen wie die Aktion gegen Roger Köppel im Neumarkt-Theater zu weit gehen. Denn der Code der Kunst ist die Freiheit  – aber im Kirchenraum stellt sich diese Frage nochmals in gesonderter Weise. Wir dürfen nicht jede Verletzung akzeptieren, nur weil es Kunst ist.

Zum Beispiel?

Eine Abendmahl-Darstellung mit Mickey-Mouse-Figuren: Das ist eine Art von Kunst, die nach dem Schock sucht, oberflächlich und dumm ist. Sie kann nur Aufmerksamkeit generieren, indem etwas verhöhnt und verletzt wird. Hier würde ich eine klare Linie ziehen. Dann gibt es aber auch eine Art von notwendiger Verletzung. Dada hat solche Dinge gemacht, um einen falschen Vorhang herunter zu reissen. Bereits in der Bibel gibt es vergleichbare Provokationen: Hosea, der von der Hochzeit mit einer Hure spricht, um auf das verbrochene Verhältnis zwischen Israel und Gott aufmerksam zu machen. Oder Amos, der in einen Tempel stürmt und schreit: Gott hasst Eure Feiern und Zeremonien!

Letztes Jahr fand im Fraumünster eine Performance statt, die sogar einen Austritt aus dem Fraumünsterverein zur Folge hatte. Stein des Anstosses: Ein nackter Busen. Warum kann Nacktheit religiöse Gefühle derart stark verletzen?

Wir haben eine religiöse Kultur, in der Scham eine gewisse Rolle spielt. Und das ist gar nicht von vornherein schlecht. Denn in unserer modernen Kultur wird der weibliche Körper auf schlimme Art immer wieder zum Objekt gemacht. Es gibt aber auch eine moralische Verklemmtheit gegenüber Körperlichkeit und Sexuellem, die primär mit Nacktheit assoziiert wird. Dies ist eine durchaus heikle moralistische Tradition in der Kirche. Da gehen die Leute täglich an allem Möglichem vorbei, an sexistischen Plakaten und Clips – ich denke da etwa an die Werbung – und regen sich auf, wenn es in der Kirche eine nackte Brust zu sehen gibt. Dabei: Schauen Sie sich ein Renaissance-Gemälde an mit der in vollster Schönheit abgebildeten Maria beim Stillen des Jesuskindes. Das gehört zum Körperlichen.

Sie haben also kein Verständnis für die empörten Reaktionen?

Nein. Die Performance war sehr keusch, wenn man genau hinschaute. Wer auf Nacktheit mit solchen Primär-Reflexen reagiert, ist verklemmt und kleinbürgerlich. Dabei muss auch  betont werden, dass das heikle Thema der Sexualität kein genuin religiöses Problem ist. Vielmehr hängt es damit zusammen, dass Sexualität vor der Pille eine Bedrohung darstellte für die Gemeinschaft, für Ehen und Familien. Leute, die das dem Christentum allein überschreiben wolle, sind ungebildet und reagieren vermutlich einfach ihre Wut auf eine ungute religiöse Sozialisierung ab. Die Verteufelung des Körperlichen ist allerdings ein Phänomen, in dem religiöse Pathologien sichtbar werden.

Was ist der speziell reformierte Blick auf zeitgenössische Kunst in der Kirche?

Die reformierte Reaktion gegen Heiligenbilder richtete sich gegen den Ablasshandel und bestehende Machtstrukturen, weniger gegen Bilder an sich. Sie nahm das zweite Gebot ernst: Du sollst dir kein Bildnis machen – d.h. keine Ideologien. Auch heute sollte das Ideologische, das mit Bildern verbunden sein kann, kritisch reflektiert werden. Das ist reformiert: kritisch hinschauen. Dabei müssen wir nicht  weltuntergangstriefend und hyperkulturkritisch werden. Die nüchterne Frage lautet: Ist es überraschend, ist es gut, hat es Qualität? – Und schliesslich: Hat die Kunst etwas mit den grossen Fragen der Menschheit zu tun? Denn das ist der Massstab, den man an jede Kunst anlegen sollte.