Vom Kampf gegen Corona für die Klimapolitik lernen

Klima

Corona verdrängte die Klimakrise aus den Schlagzeilen. Entschlossenes Handeln sei aber in beiden Krisen nötig, fordern Forscher. Ja, sagt die Wirtschaft, aber nicht zu jedem Preis.

Alle reden von der Pandemie. Dabei stehe mit der Klimakrise eine noch viel schlimmere Krise bevor. Das behauptet nicht nur die Bewegung Strike for Future, die für den 21. Mai wieder einen landesweiten Streik- und Aktionstag plant. Auch in Politik und Wirtschaft wächst das Bewusstsein, dass Nichtstun die Gesellschaft in jeder Hinsicht teuer zu stehen kommen könnte. Im Juni stimmt die Schweiz über das revidierte CO₂-Gesetz ab. Mit den Massnahmen sollen Treibhausgasemissionen bis 2030 drastisch reduziert werden. Die Vorlage ist breit unterstützt. Kritik kommt aus entgegengesetzten Richtungen.

Ein Komitee, dem unter anderen der Automobil-Club der Schweiz (ACS) oder Swissoil angehören, wehrt sich gegen eine zu starke Regulierung. Zu wenig weit geht die Vorlage Vertretern des Klimastreiks aus der Romandie, die ein Netto-null-Ziel für Treibhausgasemissionen nicht erst bis 2050, sondern spätestens bis in zehn Jahren fordern. Aktivisten halfen bei der Sammlung der Unterschriften für das Referendum, das im Januar eingereicht wurde.

Eine Lehre aus der Krise

Die Pandemie hat für das Klima kurz­fristig einige positive Auswirkungen. Es wird weniger geflogen, konsumiert und produziert, Treibhausgasemissionen gehen in einigen Teilen der Welt zurück. Dennoch lösten Lockdowns das Klimaproblem nicht, sagt Reto Knut­ti, Klimatologe an der ETH Zürich. Der positive Effekt für das Klima sei zu gering und wirke sich nur kurzfristig aus. «Die individuelle Mobilität macht zudem nur einen Teil des CO₂-Ausstosses aus.» Vieles laufe auch in der Pandemie weiter: Heizungen, Landwirtschaft, Industrie. Das Risiko, dass die Leute erst recht reisen und konsumieren, sobald es wieder möglich ist, sei gross.

Mit Freiwilligkeit und Eigenverantwortung wenden wir die Folgen der Klimaerwärmung nicht ab.
Reto Knutti, Klimatologe ETH Zürich

Allerdings zieht Knutti eine Lehre aus der Corona-Krise: «Auch der Klimawandel ist ein Problem, das die ganze Menschheit betrifft und nur gemeinsam zu lösen ist.» In der aktuellen Krise habe sich gezeigt: Wer zu lange warte, werde leiden, so der Klimaexperte. «Sobald es genügend Fakten gibt, muss man abwägen und rasch entscheiden, sonst wird das Problem nur grösser.» Das letzte Jahr könnte auch positiv stimmen: Immerhin haben die Politik und Gesellschaft in kürzester Zeit radikal auf eine Gefahr wie das Coronavirus reagiert. Und radikales Handeln ist laut dem aktuellem UNO-Klimabericht, der von einer «dramatischen Erderwärmung» warnt, dringend nötig.

Das bestätigt auch Klimatologe Reto Knutti. Um die Katastrophe abzuwenden, brauche es aber, wie sich in der Pandemie gezeigt habe, klare Regeln. Die meisten Menschen seien nicht bereit, zugunsten des Klimas umzudenken, sich anders zu verhalten und auch einmal zu verzichten. «Mit Freiwilligkeit und Eigenverantwortung wenden wir die Folgen der Klimaerwärmung wie extreme Trockenheit im Sommer, schmelzende Gletscher und steigende Meeresspiegel nicht ab.»

Nachhaltigkeit ist die Zukunft, und echte Nachhaltigkeit bringt sowohl das Klima als auch die Wirtschaft weiter.
Kurt Lanz, Wirtschaftsdachverband Economiesuisse

Unterstützung für rasche Massnahmen und Regeln kommt von Kurt Lanz vom Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Die Wirtschaft befürworte ebenfalls eine Umstellung auf erneuerbare Energien. «Die Frage ist, wie und zu welchem Preis.» Für die «schon jetzt klimafreund­liche Schweiz» dürften keine wirtschaftlichen Nachteile resultieren, verlangt Lanz. «Unser Land kann nur 0,1 Prozent der weltweiten Treib­hausgasemissionen beeinflussen.» Es brauche eine global koordinierte Strategie mit weltweit festgesetzten Preisen für Treibhausgasemissionen statt mit Technologieverboten.

Auf globaler Ebene setzt das Pariser Abkommen an. Darin einigen sich 195 Staaten, darunter China und seit 2021 auch wieder die USA, auf gemeinsame Klimaziele. Der Bei­trag der Schweiz wird im neuen CO₂-Gesetz festgehalten, das Economiesuisse unterstützt. Lanz ist zuversichtlich: «Nachhaltigkeit ist die Zukunft, und echte Nachhaltigkeit bringt sowohl das Klima als auch die Wirtschaft weiter.»

Die Wirtschaft bewegt sich

Dass sich Economiesuisse hinter das CO₂-Gesetz stellt, ist für den Forscher Reto Knutti ein gutes Signal. «Das wäre vor zwei Jahren noch undenkbar gewesen.» Allerdings stehe die Schweiz in der Klimapolitik nicht besonders gut da. «Indem wir die industrielle Produktion und damit die Emissionen immer mehr ins Ausland verlagern und die Waren importieren, ist das Problem nicht gelöst.» Global müsse alles unternommen werden, um den Klimawandel zu begrenzen. «Ob es gelingt, ist offen, aber wir haben kei­ne Wahl: Wir müssen es versuchen.»