Recherche 16. März 2023, von Christian Kaiser

Eine fröhliche Messe für Mutter Erde

Musik

Der Toggenburger Komponist Peter Roth hat mit der «Missa Gaia» einen furiosen Lobgesang auf die Schöpfung erschaffen.

Schon eine Dreiviertelstunde vor dem ersten Ton ist die Kirche in Degersheim voll bis auf den letzten Sitzplatz. «Die werden wieder umkehren müssen», meint eine Einheimische staunend über die hereinströmenden Massen. 

Doch so weit kommt es nicht. Die Sitzenden rücken zusammen, den Wänden entlang bilden sich Stehreihen, einige sichern sich Plätze auf der Treppe zur Kanzel und vor den Orgelpfeifen auf der Empore. 

Das Erdulden der Erdmutter

Zur bisher dritten Aufführung der «Missa Gaia» lud ein Flyer mit einem Zitat ihres Schöpfers ein: «Die Erde ist ein vernetztes System, ein intelligenter Organismus, ja ein fühlendes Wesen.» Und diesem Lebewesen eine ganze Messe zu widmen, war die Absicht des Komponisten Peter Roth. Missa steht für Messe und Gaia war bereits im griechischen Götterolymp der Name der Erdmuttergöttin. Und weil dieses lebendige, fühlende Wesen, das uns alle Lebensgrundlagen liefert, derzeit sehr viel erleiden muss, hat Peter Roth für sie eine Messe komponiert: Der «grosse Gesang für Mutter Erde» ist ein wunderschöner Lobpreis für den Planeten. 

Chorpartien, drei weibliche Solostimmen sowie Appenzeller Streichmusik und arabische Saitenklänge werden mit Vogelgezwitscher und Walgesang zu einem Klangteppich verknüpft, auf dem die Zuhörenden durch Zeiten und Räume schweben und sich als Teil eines grösseren Ganzen erfahren können. «Stimme ist immer ein Ausdruck von etwas Lebendigem und mir gefiel die Vorstellung, dass die Tiere mitsingen in diesem Lobgesang», sagt Roth. «Ich höre in jeder Vogelstimme auch die Freude über das Dasein.» Die Missa Gaia bündelt diese Freudengesänge zu einer dankbaren, musikalischen Verneigung vor der Schöpferin.   

Peter Roth im Video­gespräch über den Umgang mit Mutter Erde:

Eine Messe als Krönung

Roth erschuf ein Werk von sogartiger Wirkung und transformierender Kraft, das einen in der Tiefe anrührt und erschauern lässt. Schnell wird den Zuhörenden bewusst, dass der Komponist hier einen grossen Wurf gelandet hat, als seien alle Fäden seines bisherigen Schaffens zur Krönung eines langen Künstlerlebens zusammengelaufen. 

Peter Roth sagt selbst: «Es ist mein wichtigstes Werk seit der Toggenburger Passion.» Diese schrieb der Komponist 1984, und auch sie greift gesellschaftliche und politische Themen auf: Roth hatte den Militärdienst verweigert und sass dafür drei Monate im Gefängnis. 

Die Passion thematisiert die Gewaltfreiheit, und ein Hohepriester, der sich transformiert, verkörpert den dringed nötigen Wandel. «Die Missa Gaia ist wieder eine Komposition, die sich mit aktuellen Zeitfragen auseinandersetzt.»

Roth sagt, den Menschen sei der Bezug zur Schöpfung abhandengekommen. «Unser Verhalten der Natur gegenüber ist ein In-den-Griff-bekommen-Wollen, Kontrollieren, Planen, Ausbeuten an den natürlichen Kreisläufen vorbei.» Die Folgen davon seien unverkennbar: «Ich erlebe jetzt seit 60 Jahren Winter im Toggenburg, und sie haben sich in den vergangenen 15 Jahren dramatisch verändert.» 

Ein mahnender Refrain zieht sich deshalb durch das gesamte Werk: «Genug ist genug!». Trotzdem kommt Roths Messe streckenweise lüpfig und fröhlich daher, wie wenn die Streichmusik nach dem Alpgottesdienst zum Tanz aufspielt. Denn der Komponist glaubt an die Herzensfreude als eine wesentliche Triebfeder menschlichen Handelns. Roth hat sein herausragendes Werk um ein hoffnungsvolles Credo gedrechselt: «Tief in uns und radikal wohnt immer nur das Gute!» 

«Im Weniger das Mehr entdecken»

Nächste Aufführung der «Missa Gaia»

Sonntag, 26. März 2023, 17 Uhr, Stein am Rhein, Stadtkirche