Der republikanische Präsidentschaftsbewerber Donald Trump ist ein begnadeter Talker. Nun wechselt der für seine derben Spässe und polemisch-schneidenden Attacken bekannte Trump plötzlich ins ernste Fach der Bibelkunde. Er sei ein Presbyterianer, der sich schön «in der Mitte der Strasse» des Mainstreams der US-amerikanischen Christenheit einordne. Und damit keiner glaubt, dass der schillernde Immobilien-Tycoon hier nur Schaulaufen für die konservative, evangelikale Wählerschaft macht, streckt er bei einer Wahlveranstaltung seine Bibel aus Sonntagsschulzeiten hoch und zeigt die Unterstreichungen darin. Die Religion ist als wichtiges Element im Präsidentschafts-Vorwahlkampf der USA angekommen.
Vor Clinton und Trump. Der Grund des religiösen Bekennermuts von Trump liegt auf der Hand. Plötzlich muss der bisherige Star des republikanischen Vorwahlkampfes seine Position als Spitzenkandidat mit Ben Carson teilen. Der exotische Evangelikale und praktizierende Siebenten-Tag-Adventist Carson liegt nach der Umfrage der Internet-Publikation «Real Clear Politics» mit 24,8 Prozent national knapp vor Trump. Überraschend auch für die favorisierte demokratische Präsidentschaftsanwärterin Hillary Clinton, der von dem pensionierten Neurochirurgen Carson bittere Medizin verabreicht wird: Derzeit würden bei einer Paarung Clinton gegen Carson die Mehrheit der Amerikaner, so die neueste Umfrage der Quinnipiac University, den republikanischen Kandidaten mit einem Vorsprung von zehn Prozent zum Präsidenten wählen.
Aufstieg von Gottes Gnaden. Carson selbst hat es aus den Hinterhöfen der afroamerikanischen Gemeinschaft Detroits in einer aufsehenerregenden Karriere bis zum Gehirnchirurg gebracht. Seine Aufsteigerstory bildete auch schon die Grundlage für eine Verfilmung. Der biblizistische Gläubige ist tief davon überzeugt, dass die Erde in sechs Tagen von Gott erschaffen wurde. Nach einer Schlägerei hatte er mit 14 Jahren sein christliches Erweckungserlebnis. Der zügellose, jähzornige Junge verwandelte sich zu einem disziplinierten Menschen. «Meine Unbeherrschtheit wird nie mehr Macht über mich haben. Ich bin frei», beschreibt er in seiner Autobiographie Begnadete Hände» die Hinwendung als 14-Jähriger zu Jesus Christus.
Wutpolitik. Mit samtweicher Stimme verkündet er leise, aber nachdrücklich seine missionarischen Ansichten. So sagt er, ohne dabei die Stimme zu heben, so zornige Sätze wie: «Wir leben in einer Gesellschaft, die sehr Nazi-Deutschland ähnelt.» Deutsche Geschichte verlockt ihn auch zu anderen haarsträubenden Äusserungen. Der Holocaust an den Juden sei nur möglich gewesen, weil die Deutschen aufgrund der strengen Waffengesetze keinen Widerstand leisten konnten. Oder er vergleicht die Einführung der staatlichen Krankenversicherung - Stichwort: Obama-Care - mit der Sklaverei. Den Vergleich mit der Sklaverei bemüht er auch auf einem anderen Feld - der Abtreibungsfrage. Denn hier dürfe ein Christ wie bei der Sklaverei nicht wegschauen. Wörtlich: «Sklavenhalter dachten, sie hätten das Recht, mit den Sklaven zu tun, was sie wollten. Wo wären wir heute, wenn die Gegner der Sklaverei damals gesagt hätten, wir halten zwar nichts von der Sklaverei, aber ihr könnt machen, was ihr wollt?»
Gottes Einflüsterung. Als Werkzeug Gottes will Carson nun die Politik der USA wieder auf ein christliches Wertefundament stellen. Schon als er als Neurochirurg siamesische Zwillinge trennte, die am Kopf verwachsen waren, sagte er: «Gott, du bist der Chirurg. Ich bin nur deine Hand.» Seine anfangs von den politischen Beobachtern eher belächelte Kandidatur erfolgte nach Carsons Darstellung auf Zureden Gottes hin. «Ich habe Gott geantwortet: Alle Experten sagen, das sei unmöglich», schildert Carson sein Zwiegespräch mit Gott. Doch Gott habe ihm geraten, einfach weiterzumachen, die Türen würden sich bald öffnen. «Und jetzt fliegen die Türen geradezu auf, deshalb marschiere ich weiter», sagt Carson.Natürlich wird wie beim letzten republikanischen Herausforderer von Obama, dem Mormonen
Mitt Romney, Carsons Zugehörigkeit zu einer kleinen Minderheiten-Denomination wie den Siebenten-Tag-Adventisten zu reden geben. Unter den Evangelikalen, die sich besonders eifrig an den Vorwahlen beteiligen und die bei der republikanischen Kandidatenkür entscheidend sind, dürfte dies indes wenig problematisch sein. Denn auch Mitt Romney, der von seinen Glaubensüberzeugungen her wesentlich wankelmütiger daherkommt wie Carson, wurde schliesslich von 80 Prozent der evangelikalen Wählerschaft unterstützt.
Wenig bibelfest. Der texanische Religionshistoriker Thomas Kidd schätzt, dass Carson auf den Support der Evangelikalen zählen kann. «Ich denke, die meisten Evangelikalen sagen sich: Lieber einen praktizierenden Adventisten als einen nominell eingeschriebenen Presbyterianer, der scheinbar nicht einmal ein theologisches Basiswissen über das Christentum besitzt», sagte der Universitätsprofessor gegenüber der «New York Times». Der Professor wird dabei wohl Recht behalten. Denn als Trump nach seiner Lieblingsstelle in der Bibel gefragt wurde, fiel ihm nichts dazu ein.