«Gott wartet dort auf uns, wo wir ihn zuletzt erwarten»

Advent

Seit des Lockdown verteilt Schwester Ariane Stocklin Mahlzeiten und Lebensmittelpakete im Zürcher «Chreis Cheib». Ihr Glaube ermutigt sie, in der Krise für andere da zu sein.

Die Krise ist in vollem Gang. Menschen verlieren ihre Arbeit, psy­chische Probleme werden grösser. Frauen und Männer im Milieu können ihre Zimmer, ihre Lebensmittel nicht mehr bezahlen und ihre Familien in ihren Heimatländern nicht mehr finanziell unterstützen.

Viele erzählen uns von ihrer tiefen Traurigkeit, ihrer Ausweglosigkeit. Sie fragen nach einer menschenwürdigen Arbeitsstelle. Sie wollen aussteigen. Wer gibt ihnen eine Chance, jetzt in dieser Krise und auch danach? Menschen suchen uns auf und fragen uns nach einer Arbeit und einem Zimmer. Wer hilft ihnen? Immer mehr Väter und Mütter kommen zu uns, um eine warme Mahlzeit für ihre Kinder zu holen. Flüchtlinge bitten uns um Decken und erzählen, dass sie auf dem nackten Boden schlafen.

Die Krise betrifft die ganze Welt. Sie erscheint als Chance und als Gefahr zugleich. Ist sie ein Wendepunkt? Für uns als Kirche oder für die Gesellschaft? Für mich selber? Wie gehen wir damit um? Vertrauensvoll miteinander und mit Gott?

Die bedingungslose Zusage

Wenn wir vom Vertrauen auf Gott sprechen, geht es mir um das «Ich bin da», die bedingungslose Zusage Gottes, sein Wesen, sein Name, wie er ihn Mose am Dornbusch offenbart hat: Er ist der, der da ist.

Das ist für mich die entscheidende Grunderfahrung in meiner eigenen Biografie, die mich tief geprägt hat und mein Leben und Wirken bis heute bestimmt. Gott ist da. Dort, wo wir ihn zuletzt erwarten, wartet er auf uns. Es gibt nichts, keinen Ort und keinen Winkel, keine Situation und keine Not, keine Angst und keine Einsamkeit, keinen Abgrund, wo Gott nicht da ist. Auch nicht in der Krise.

Da-Sein ist für mich die Grundhaltung auf der Gasse, an den Rändern der Gesellschaft.

Diese Gewissheit ermutigt mich immer wieder neu, mich meiner eigenen Not und der Not der anderen wahrhaftig zu stellen. Da-Sein ist für mich die Grundhaltung auf der Gasse, an den Rändern der Gesellschaft: Zuhörend, mitfühlend, die Menschen annehmend wie Jesus am Jakobsbrunnen im Gespräch mit der Samariterin. Ausschau haltend und sich freuend wie Jesus, als er Zachäus vom Baum herunterrief. Aufsuchend und tragend wie Jesus als guter Hirt mit dem verlorenen Schaf. Aushaltend wie Jesus in den dunklen Stunden seines Lebens.

Mensch werden wie Gott

Dieses Da-Sein gibt dem Gegenüber Raum, seine Angst zuzulassen, sie zu fühlen, auszusprechen, sich getragen zu erfahren: «Fürchte dich nicht. Ich bin mit dir.» Auf dem Boden des Da-Seins ergibt sich die Frage: Was soll ich für dich tun? Was brauchst du? Daraus entsteht die konkrete Unterstützung und Hilfe, das nötige Handeln.

Für mich ist die Corona-Krise eine Chance, zum Wesentlichen zurückzufinden: Ganz Mensch zu werden. So wie es Gott getan hat. In Fleisch und Blut. Mit einem Herzen, das mit Leidenschaft liebt, da ist, handelt, sich hingibt. Das ist Weihnachten. Ein Hoffnungslicht, das aufscheint in dieser Welt, in dieser Krise. Bevor Gott sagt, «Fürchte dich nicht», ist er schon da.