Fake-News, Fake-Profile und Fake-Produkte – «So viel Fake wie heute war noch nie», behauptet das Stapferhaus Lenzburg in seiner neuen Ausstellung «Fake. Die ganze Wahrheit». Leben wir im Fake-
Zeitalter?
Christoph Weber-Berg: Fälschungen und Lügen hat es schon immer gegeben. Neu ist die Leichtigkeit und Einfachheit, wie falsche Informationen heute verbreitet werden können und in welchem Tempo sie sich mithilfe des Internets und der sozialen Medien ungeprüft ausbreiten.
Warum ist das so?
Viele Medien stehen heute im Markt enorm unter Druck. Qualitätsjournalismus, der vertieft recherchiert und Hintergründe ausleuchtet, hat einen schweren Stand. In das entstehende Vakuum strömen immer mehr soziale Medien und Leute, die bewusst oder unbewusst Falschinformationen verbreiten.
In der Stapferhaus-Ausstellung debattieren gesellschaftliche Verantwortungsträger wie Pfarrpersonen, Richterinnen, Politiker, Ärztinnen, Wissenschafter und Journalisten darüber, wie sie in der durch Lügen zunehmend verunsicherten Gesellschaft Vertrauen herstellen können. Auch die Kirche ist herausgefordert. Ist es Aufgabe der Kirche, Vertrauen herzustellen?
Vertrauen und Wahrheit sind sehr stark religiös konnotierte Themen. Der Glaube insgesamt ist eine Haltung, die mit Urvertrauen zu tun hat. Christliches Vertrauen in Gott heisst vertrauen darauf, dass das Leben stärker ist als der Tod. Dieses Vertrauen «herstellen» kann man nicht. Aber den Menschen Erfahrungen ermöglichen und Deutungen anbieten, die dieses Vertrauen stärken, ja, das ist tatsächlich eine wichtige Aufgabe der Kirche.
Vermittelt der Glaube eine objektive Wahrheit?
Man darf religiöse oder metaphysische Wahrheiten nicht verwechseln mit mathematischen oder empirischen Wahrheiten. Sagt jemand, mein Glauben hilft mir in der Krankheit, der Not, der Trauer, dann ist das wahr. Es ist eine metaphysische Wahrheit, wie sie Aristoteles schon beschrieben hat. Diese Aussage ist wahr und hat eine grosse Bedeutung für das Leben eines Menschen. Sie ist genau so wahr wie etwa, dass es in diesem Raum jetzt gerade 21 Grad warm ist. Trotzdem kann man jene Wahrheit nicht messen oder jederzeit und überall reproduzieren, wie das möglich ist im Fall der Raumtemperatur.
Zur Ausstellung hin hat das Stapferhaus einige Dutzend Pfarrpersonen befragt: Kennt Gott die Wahrheit? Viele antworteten: Gott ist die Wahrheit, Gott kennt die ganze Wahrheit. Ein schöner Satz. Doch was taugt er für meinen Alltag?
Das entscheidet jeder selber, ob das eine wahre Aussage ist oder nicht. Bejaht er dies, dann setzt er voraus, Gott ist von einer Art, dass ich wissen kann, dass er die ganze Wahrheit kennt. Ich zum Beispiel weiss es nicht. Aber ich glaube es. Es ist eine metaphysische Wahrheit.
Wie stehts mit dem Wahrheitsgehalt in der Bibel? Sie steckt voller abenteuerlicher Geschichten. Jesus wandelt auf dem Wasser, es geschehen wundersame Heilungen, sogar eine Wiederauferstehung nach dem Tode. Für viele Menschen ist die Bibel nicht mehr als ein religiöses Märchenbuch.
Das wird der Bibel nicht gerecht. Zweifelt man an, dass Jesus übers Wasser gelaufen ist, und versucht man, die Bibel auf ihren objektiven Gehalt festzunageln, verpasst man die Wahrheit der Geschichte. Denn diese will sagen: Wer auf Jesus vertraut, der kann übers Wasser gehen. Religiöse Wahrheiten sind Deutungswahrheiten. Sie deuten mir mein Leben, geben mir Halt, tragen mich. Ohne dieses Gottvertauen wäre ich schon oft untergegangen in meinem bisherigen Leben!
Papst Franziskus rief alle Menschen dazu auf, sich gegen Fake-News zu engagieren. Ist es Christenpflicht, dies zu tun?
Sich gegen Fake-News einzusetzen, bedeutet etwa, nicht auf Facebook irgendwelche Informationen unkritisch weiterzuverbreiten. Oder es würde heissen, Menschen in Schutz zu nehmen, die via Fake-News diffamiert werden.
Was kann die Kirche tun, damit die Gesellschaft die Wahrheit als hohes Gut betrachtet und schützt?
Die gute Botschaft der Bibel glaubwürdig bezeugen und vorleben. Aufgabe der Kirche ist es, dort, wo Fake-News missbraucht werden, Menschen zu diffamieren oder wo die Menschlichkeit mit Füssen getreten wird, aufzustehen und dagegen anzutreten. Wie etwa, als im September 2015 die drei Landeskirchen in Aarau mitwirkten bei der Demonstration «Aufstand für Anstand», die sich für mehr Menschlichkeit im Umgang mit Flüchtlingen einsetzte.
Damals nahm die Flüchtlingsthematik auch in den sozialen Medien zunehmend menschenverachtende Züge an. Es kursierten Fake-Posts wie derjenige eines Flüchtlingsschiffs, das in Italien anlegte und von einem bekannten Politiker mit dem zynischen Kommentar «Die Fachkräfte kommen» versehen wurde. Das Bild aber zeigte in Realität Flüchtlinge aus dem Balkan aus den 1990er Jahren.