«Sex ist ein Bruchteil dieser Beziehungen»

Gesellschaft

Eine Liebesbeziehung zu führen ist herausfordernd – und für manche ohne Unterstützung zu schwierig. Eine Surrogatpartnerschaft kann helfen. Was das ist und warum Franka das macht.

Sie nennt sich Franka, ist 45 und ver­dient Geld unter anderem damit, dass sie Liebesbeziehungen führt mit ver­schiedenen Menschen. Ihren richtigen Namen gibt sie nicht bekannt. Die Mutter zweier Kinder teilt sich mit ihrem Mann die Erwerbsarbeit. Und er weiss, dass sie bei einem Teil davon mit anderen Männern redet über Intimstes, sie berührt und sich berühren lässt und manchmal Sex hat mit ihnen. Surrogatpartnerschaft nennt sich diese Art von Beziehung.

Für Franka ist wichtig: «In einer Surrogatpartnerschaft ist der Sex – wenn man darunter nur Penetration versteht – ein kleiner Bruchteil der Arbeit.» Zugleich gibt sie zu bedenken: «Die Frage ist ja auch: Wo beginnen Intimität und Sexualität?» Die Beziehung werde in den Treffen schrittweise aufgebaut, so dass beide Per­sonen langsam hineingleiten. «Es ist Arbeit, auch für die Klienten. Aber es ist nie eine Überforderung, jeder Schritt wirkt selbstverständlich.» Es sei nicht einfach eine Liebesschule, sondern vor allem eine Kommunikationsschule.

Klare Regeln gelten

Eine Surrogatpartnerschaft ist eine zeitlich begrenzte Modellbeziehung in einem bestimmten Raum: in der Regel einmal wöchentlich, für eine bis drei Stunden, strikt im Raum von Franka. Kontakt ausserhalb die­ser Zeiten gibt es nur für Organisatorisches. Und nach dem Abschluss haben beide mindestens sechs Monate lang keinen Kontakt.

Alle drei sind in der Pflicht, ihre Rolle korrekt auszuführen – das gibt mir viel Sicherheit.
Franka, Surrogatpartnerin

Bisher hatte Franka Männer als Kunden, verschieden alte, mit unterschiedlichen Geschichten: Manche konnten teils bis in ein höheres Alter ihre Sexualität nie leben, andere hatten eine enttäuschende Beziehung hinter sich und können sich keine weitere vorstellen.

Gemäss Franka soll die Modellbeziehung so sein, wie man im Idealfall eine Beziehung führt – «und wie man auch auf eine gute Art wieder Abschied nehmen kann». Man dürfe üben und scheitern, und man müsse nichts beweisen.

Ganz wichtig ist für Franka der Austausch im «therapeutischen Dreieck» mit LuciAnna Braendle, der Sexualtherapeutin der Klienten. Ohne diese Begleitung im Wechsel mit den Treffen bei Franka gibt es gar keine Surrogatpartnerschaft. «Alle drei sind in der Pflicht, ihre Rolle korrekt auszuführen – das gibt mir viel Sicherheit», sagt Franka.

Therapie aus den USA

Über LuciAnna Braendle kommen die Klienten zu Franka, manchmal auch von weit her. Denn in Europa ist Surrogatpartnertherapie noch kaum verbreitet. Braendle hat als Sexualtherapeutin und Beziehungs­coach die Ausbildung zur Sur­ro­gat­partnerin 2012 in Kalifornien absolviert.

Seit 2017 bildet sie nun selbst in der Schweiz Surrogatpartnerinnen und -partner aus und ist gemäss eigenen Angaben die einzige derartige Therapeutin in der Schweiz. Sie arbeite sie mit je drei Männern und Frauen zusammen, die bei ihr die Ausbildung absolvierten. Eine weitere Schule dafür gebe es in Europa nur noch in England.

Ich entschied, dass ich das auch machen will – in erster Linie für mich, für meine persönliche Befreiung.
Franka, Surrogatpartnerin

Dass Franka überhaupt darauf kam, hat sie ihrem eigenen Mut zu verdanken. «Körperlich war ich lan­ge recht gehemmt», sagt sie. Dann überwand sie sich und fand zu­erst übers 5-Rhythmen-Tanzen und danach über Kuschelabende «einen ganz neuen Zugang zu mir selbst».

Neue Welt der Schönheit

Allein das eröffnete der 45-Jährigen Welten. «Ich entdeckte unter anderem, wie schön die Verbindung zu wildfremden Menschen durch körperliche Berührung sein kann.» Organisatorin des Kuschelabends war LuciAnna Braendle – und als diese über die Surrogatpartnertherapie informierte, merkte Franka, dass sie das sehr interessierte. «Und ich entschied, dass ich das auch machen will – in erster Linie für mich, für meine persönliche Befreiung.»

Zauberhaft ist: Ich bekomme jeden Einzelnen gern und finde ihn schön.
Franka, Surrogatpartnerin

Während bald vier Jahren hat Fran­ka nun rund 15 Männer ganz nah begleitet. Und nach wie vor ist sie jedes Mal sehr nervös bei einem ersten Treffen – wie ihr Gegenüber auch. Diese Unsicherheit zum Thema zu machen, schaffe dann aber immer gleich einen ersten Anknüpfungspunkt.

Und dann kann beginnen, was Franka so «unglaublich schön» findet an ihrer Arbeit: die Schönheit eines Menschen entdecken zu können und in einem tiefen Prozess zu Dingen zu kommen, die zuvor völlig unmöglich schienen. «Zauberhaft ist: Ich bekomme jeden Einzelnen gern und finde ihn schön.»

Und wenn sie dann aus ihrem Raum gehe, könne sie das alles zurücklassen.