Von Gott würde heute kaum jemand behaupten, er sei «ein feines Gluckhuhn». «Mit dir sind doch die Pferde durchgegangen!», würden wir wohl antworten. Für Luther dagegen war es eine hundsgewöhnliche Aussage. Im 16. Jahrhundert war das Bild der führsorglichen Henne, der Glucke eben, noch weit verbreitet. Das Bild vom dummen Huhn gab es zwar früher auch schon, doch durchgesetzt hat es sich erst im 19. Jahrhundert durch vermeintliche wissenschaftliche Erkenntnisse.
Von Schlosshunden und blinden Säuen
Christian Schmid hat untersucht, wie wir in unserer Sprache mit Tieren umgehen. Alles andere als respektvoll, lautet das Fazit seines neuen Buchs. Das liege an unserem Weltbild.
Wer heute jemand andern ein Huhn schimpft, spielt auf ebendiese angebliche Dummheit des Tieres an. Auch die Mundart verweist auf die mangelnde Intelligenz des Federviehs. Wer beispielsweise «desumehüeneret», irrt kopflos umher.
Sprache voller Tiere
Es waren solche Redewendungen aus dem Alltag, die Christian Schmid veranlassten, ein Buch über die Tiere in der Alltagssprache zu schreiben. «Während meiner Kindheit da hinten im Worblental war die Sprache meiner Eltern voller Ausdrücke, die mit Tieren zu tun haben», erinnert sich Schmid und deutet von der Grossen Schanze in Bern aus in Richtung Bantiger.
Der Schriftsteller und Sprachwissenschaftler ist den meisten wohl als Mundartexperte und Redaktor von Radio SRF 1 bekannt. Schon immer hätten ihn Wort- und Sinnfelder interessiert, so sei es schon zum Buch «Da hast du den Salat» über Kultur und Sprache der Küche gekommen. Nun folgt mit «Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber» ein Buch zu den Tieren in der Sprache.
Korn oder Erbse?
Schmids Buch behandelt die Haustiere Huhn, Kuh, Katze, Hund sowie Pferd und Esel, denen jeweils ein Kapitel gewidmet ist. «Was fehlt, sind die Schafe und die Ziegen», erklärt Schmid. Diese hätten schlicht keinen Platz mehr gehabt. Systematisch und unterhaltsam erläutert der Autor die Ursprünge von Tierbezeichnungen und Redensarten sowie das Vorkommen von Tieren in allerlei Schimpfworten.
Dabei führt er Erstaunliches zutage. So ist der heulende Schlosshund nicht etwa ein Hund auf einem Schloss, sondern ein angeschlossener beziehungsweise angeketteter Hund. Das Sprichwort vom blinden Huhn, das auch mal ein Korn findet, gibt es schon sehr lange und in vielen Varianten. Die Stelle des Huhns kann auch eine blinde Taube, Sau oder Kuh einnehmen, und die Tiere finden nicht nur ein Korn, sondern wahlweise eine Erdbeere, eine Eichel oder eine Erbse.
Wie in den sozialen Medien
Auffällig viele Beispiele in Schmids Buch stammen von Geistlichen, gerade bei den Beleidigungen. Christian Schmid war selbst überrascht, wie sprachlich verroht in der frühen Neuzeit der Kampf der Konfessionen geführt wurde: «Die Kirchenleute pflegten eine Sprache, die so rüpelhaft daherkommt wie heute in den sozialen Medien.»
Christian Schmid: Nur die allergrössten Kälber wählen ihren Metzger selber. Unsere Tiere in der Sprache. Cosmos, 2021, 326 Seiten, Fr. 38.–
Martin Luther wurde von seinen Gegnern gar «Saumärtel» genannt, weil er das Wort «Sau» in seinen zahlreichen Schriften so oft verwendete.
Nicht Krone der Schöpfung
Dass die Tiere häufig und in besonderem Ausmass bei Geistlichen als Schimpfwort herhalten müssen, kommt für Christian Schmid nicht von ungefähr: «Meiner Meinung nach hat das mit der Schöpfungsgeschichte zu tun: Da werden wir zur Krone der Schöpfung erklärt.» Dieser Anspruch sei in der frühen Neuzeit schliesslich wissenschaftlich gefestigt worden. Im 17. Jahrhundert habe man begonnen, zwischen den Menschen und den Tieren kategorisch zu unterscheiden: Der Mensch galt als fähig zur Vernunft, Tiere hingegen wurden als geistig tot betrachtet.
Dieses Denken hält sich beharrlich, obwohl das Weltbild dahinter schon lange überholt ist. Nicht zuletzt ist die alte Weltsicht noch immer in der Sprache sichtbar, wie Schmids Buch aufzeigt. Ist es also ein aktivistisches Buch? «Ich wollte ein Bewusstsein dafür schaffen, wie wenig wir im Umgang mit den Tieren nachdenken», meint Schmid. Dennoch sei er kein Tierschützer. Vielmehr plädiert er dafür, dass sich der Mensch nicht losgelöst von seiner Umwelt betrachtet: «Wir sollten uns als Teil eines globalen Lebensprozesses begreifen.»