Recherche 12. April 2020, von Gottfried Locher

Wir sind Thomas

Theologie

Der Jünger Thomas konnte die Geschichte mit der Auferstehung nicht glauben. Und doch zweifelte er nicht an Jesus. Deshalb taugt er heute zum Vorbild.

«Solange ich nicht die Wunden an seinen Händen sehe, glaube ich gar nichts», sagt Thomas, der Jünger. Er war dabei, als sie Jesus ans Kreuz nagelten. Er hat es mit eigenen Augen gesehen. Er weiss, dass Jesus tot ist. Tot und begraben.

Nur ein Gerücht

Das war vorgestern. Und nun plötzlich dieses haarsträubende Gerücht, etwas Unglaubliches sei passiert, jemand habe Jesus gesehen, und zwar lebendig, aus Fleisch und Blut, unterwegs zu Fuss. Er sei «auferstanden von den Toten», sein Grab sei leer. So verrückt das klingt – das ist, was die Leute erzählen.

Niemand steht wieder auf, wenn er mal im Grab liegt, weiss Thomas. Der Tod ist der Tod ist der Tod. Und wir heute wissen es auch, das Coronavirus erinnert uns gerade brutal daran. Eine neue Krankheit geht um die Welt, sie hinterlässt viele Tote, auch bei uns. Bisher ist keiner davon wieder auferstanden. Auch nicht von den anderen Menschen, die jeden Tag zu Tausenden sterben. «Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen.» Thomas hat recht.

Der echte Jesus

Noch so gern würde er das alles glauben, das leere Grab, die Auferstehung. Jesus war sein Freund, ihn wieder zu haben, wäre das Schönste. Aber Thomas kann es nicht glauben. Er braucht Beweise. Er müsste selbst vor Jesus stehen, die Wundmale sehen an Händen und Füssen. Sonst kann jeder behaupten, er sei Jesus. Scharlatane gibt es wie Sand am Meer.

Am Wunder zweifeln und trotzdem an Jesus glauben: Auch das ist Ostern.
Gottfried Locher

Thomas ist nicht der einzige, der seine liebe Mühe hat mit der Auferstehung, damals nicht und heute erst recht nicht. Die Faktenlage ist dünn.

Der geschundene Jesus

Thomas sucht den echten Jesus. Den, der lebt und lehrt und heilt. Der leidet für seine Botschaft, kämpft für das Gute und aufsteht gegen das Böse. Der vom Leben gezeichnet ist. Thomas sucht den geschundenen Jesus, den gekreuzigten. Den echten.

Am Wunder zweifeln und trotzdem an Jesus glauben: Auch das ist Ostern. Thomas hat es vorgemacht. Und Thomas war immerhin ein enger Freund von Jesus.

Ohne Zweifel

Darum, wenn es dir geht wie Thomas, dann zweifle nicht nur, sondern mach dich auf, geh suchen. Suche Jesus in deinem eigenen Leben, suche so, wie du es willst und kannst. Suche dort, wo auch Jesus war, bei den Geplagten und Verlorenen, bei den Geschundenen und Verwundeten. Halte die Augen offen für alle die schrecklichen Wundmale da draussen in der Welt. Suche wie Thomas, der zwar an der Auferstehung zweifelte, nie aber an Jesus.

Es ist Ostern, mach dich auf!

Gottfried Locher

Gottfried Locher

Pfarrer Gottfried Locher ist Präsident der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS).

Osterbotschaft von Gottfried Locher