Pfarrer, Journalist und immer wieder ein Reisender

Nachruf

Glaubwürdig soll die Kirche sein, der Wahrheit verpflich-tet der Journalismus. Dafür setzte sich der verstorbene Jürgen Dittrich ein, von 2009 bis 2012 als Reda

Jürgen Dittrich war ein Grenzgänger. Er war der Deutsche mit Schweizer Abschluss, der Schweizer Pfarrer, der in geschliffenem Norddeutsch predigte. Er war immer im Zweifel, ob nun das Pfarr-amt oder die Publizistik seiner Neigung entspricht. Die letzte Lebensstation des in Deutschland gebürtigen Theologen war just da, wo Deutschland und die Schweiz nur noch durch den Rhein getrennt sind – in Neuhausen am Rheinfall.

Die Anteilnahme seiner Kirchgemeinde an seiner Abdankung am 3. April zeigte, wie es Dittrich in nur kurzer Zeit gelungen war, die Herzen der Menschen dort zu gewinnen. Der Pfarrer, dem hohlePredigtfloskeln zuwider waren und der auf Glaubwürdigkeit immer grössten Wert legte, hat mit seiner Klarheit die Menschen offenscihtich angesprochen.

Taten statt Worte

Jürgen Dittrich war ein Pfarrer, der nicht nur Bibel-Sprüche predigen wollte, sondern auch versuchte, jesuanischen Ansprüchen in seinem Alltag gerecht zu werden. So hat er eineneritreischen Flüchtling bei sich beherbergt. Für den Musikliebhaber, der nachts gerne Klavier spielte, für einen Menschen, dem seine Privatsphäre heilig war, kein leichter Entscheid.

Diskretion war Dittrich wichtig. In seine Krankheit weihte er nur wenige Menschen ein. Und bei Besuchen wollte er sich nicht allzu lang mit seinem Ringen um Leben und Tod aufhalten. Dem nüchternen Westfalen war jede sentimentale Gefühlsduselei abhold. Rasch wechselte er zu einem Thema, das ihn bis kurz vor seinem Tod in den Bann zog – die Politik.

Distanz zur Hoffnung

Selbst in den dunkelsten Stunden wollte er das Weltgeschehen verfolgen. Einen Monat vor seinem Tod, gerade zurück aus dem Spital, wo ihm ein Tumor entfernt worden war, rief er an. Das Sprechen schmerzte ihn. Aber das Erörtern der Weltlage wollte er nicht lassen. Er sprach über Politik – scharf, analytisch, mit einer gewissen Distanz gegenüber der Hoffnung, dassder Weltenlauf bessere Zustände hervorbringen könnte. Als wollte er dies mit eigenen Augen überprüfen, zog es denVielreisenden an Orte wie Auschwitz, Hiroshima, Nordirak oder Nordirland.

Über seine Reisen schrieb Jürgen Dittrich, der Journalismus zog ihn an. Er absolvierte die Ausbildung beim Medienausbildungszentrum in Luzern, arbeitete als Redaktor beim «Thuner Tagblatt», 2009 bis 2012 war er Redaktionsleiter von «reformiert.zürich». Dort musste er die noch ungefestigten Strukturen des jungen Blattes stabilisieren. Gerne schlüpfte er in die Rolle des Advocatus Diaboli,was viele Diskussionen anregte. Stiegdie Temperatur der Debatten, sagte er mit durchdringender Stimme: «Temperament zurückschalten. Gedankenkühle und fertig jetzt!»

Abgewogene Worte

Mündlich äusserte er sich direkt und pointiert. Schriftlich dagegen war er geradezu skrupulös. Kein unbedachtes Wort sollte in den Text rutschen. In seinem «reformiert.»-Büro hing ein Foto: Jimmy Carter mit Jürgen Dittrich. Immer wieder erzählte er, wie er den Ex-Präsidenten beim Mähen der Wiese vor der Baptistenkirche angetroffen hatte. Das verkörperte für ihn das Ideal einer Mitmach-Kirche, für das er sich bis zum Schluss starkmachte.