An Ostern feiert die Christenheit die Auferstehung Jesu Christi. Aber wer war dieser Nazarener wirklich? Daniel Marguerat beschäftigt sich seit langem mit dem Leben Jesu. Wie ein Profiler untersucht der Neutestamentler die Gestalt Jesu und kommt zu beeindruckenden und überraschenden Ergebnissen.
Sie haben sich ein Leben lang mit der Gestalt Jesu beschäftigt. Was fasziniert Sie am Mann aus Nazaret?
Daniel Marguerat: Mich fasziniert, dass Jesus nur drei Jahre lang öffentlich aufgetreten ist und in dieser kurzen Zeit eine solche spirituelle Wirkung entfaltet hat. Das ist eine absolute Ausnahme in der Geschichte der Menschheit. Zum Vergleich: Mohammed predigte 20 Jahre lang, Buddhas Erleuchtung dauerte 40 Jahre.
In Ihrer Forschung fragen Sie nach dem wahrscheinlichen Jesus.
Das ist richtig. Wenn Historiker Quellen studieren, sind ihre Ergebnisse subjektiv. Es gibt keine reine Geschichte, denn Kultur, Spiritualität oder Ideologie prägen die Fragen, die Methoden und die Historiker. Das Ergebnis der Arbeit kann daher nur wahrscheinlich sein. Als ich die archäologischen Spuren und die christlichen und die jüdischen Texte untersuchte, um mehr über den historischen Jesus zu erfahren, liess ich mich nicht vom dogmatischen Christus leiten. Der wahrscheinliche Jesus sollte ein präzises, genaues und objektives Bild liefern. Aber kein Historiker kann letztlich die Geheimnisse der Vergangenheit lüften.
Sind Sie ein Profiler des Neuen Testaments?
Die historische Forschung hat viel von der Arbeit eines Kriminalisten. Aber ich muss zugeben, dass wir keine Aussagen über die Psychologie Jesu machen können. Die Evangelisten hatten grossen Respekt vor der Person Jesu und schrieben kaum über seine Gefühle. Ausserdem hatten die antiken Autoren keine psychologischen Kenntnisse.