Recherche 13. März 2020, von Cornelia Krause, Felix Reich

«Das Leben ist ein Drama»

Psychologie

Der Kampf gegen politische Korrektheit machte Jordan Peterson populär. Ethiker Markus Huppenbauer sagt, warum er den Ratgeber des umstrittenen Psychologen auf den Lehrplan setzt.

Messias der Schwachköpfe oder ein säkularer Prophet: Jordan Peterson polarisiert. Warum sollen ihn Theologiestudierende lesen?

Markus Huppenbauer: Gerade weil die Urteile derart weit auseinanderliegen. Mich interessieren Autoren, die kontrovers diskutiert werden. Zudem greift Peterson auf die Bibel zurück, wenn er sich mit der Lebensführung befasst, deshalb ist er theologisch spannend. Ich wünschte, wir würden in der Kirche Fragen der Lebensführung mit der gleichen Leidenschaft diskutieren.

Peterson schwimmt gegen den intellektuellen Strom. Sind Sie seelenverwandt mit ihm? Sie sind ja der Ethiker, der gegen die Konzernverantwortungsinitiative antritt und den Fleischkonsum verteidigt. 

Eine sehr schöne Frage. Seelenverwandt vielleicht nicht, aber es gehört für mich zum Nachdenken über Gott und die Welt, immer wieder gegen den Strich zu bürsten. Sind sich die Leute zu schnell einig, werde ich misstrauisch. Mit Peterson verbindet mich, dass ich ungern in Schubladen gesteckt werde und mir eine offene Debatte wichtig ist. Vielleicht um den Preis, dass ich als böser Wirtschaftsfreund gelte.

Wenn Peterson mit der Bibel argumentiert: Hat er als Psychologe die theologische Kompetenz dazu?

Mit den Texten geht er verantwortungsvoll um. Sein Zugang ist unmittelbar, aber nie biblizistisch. Peterson ist ein religiöser Mensch. Die Bibel ist ihm wichtig, weil sie existenzielle Fragen verhandelt.

Ist er gläubig?

Der Frage weicht er aus, was wohl mit seiner Angst vor Schubladisierung zu tun hat. Ihn lesen ja sowohl Atheisten als auch Fromme.

Ein christliches Bekenntnis wäre somit schlecht für das Geschäft?

Es geht um mehr. Das Bekenntnis ist Peterson nicht wichtig, sondern die Frage, wie sich der Glaube im Alltag zeigt. Der Glaube muss eine Auswirkung haben. Deshalb antwortete er auf die Frage, ob Gott existiere: «Ich fürchte ja.» Die Furcht kommt daher, dass Peterson bezweifelt, dass der Mensch den Ansprüchen Gottes gerecht werden kann.

Sind sich die Leute zu schnell einig, werde ich misstrauisch.
Markus Huppenbauer, Ethiker

Und welche Erkenntnisse gewinnt Jordan Peterson aus der Bibel?

Er hat sich sehr intensiv mit den totalitären Systemen im Kommunismus und Nationalsozialismus beschäftigt. Dabei leitet ihn die Frage, was der Mensch für ein Wesen ist, dass er seinen Mitmenschen derart grosses Leid antun kann. Zwar keine Antwort darauf, aber eine Auseinandersetzung damit, findet er vor allem in der biblischen Tradition.

Was sagt ihm die Bibel mit Blick auf eine gute Lebensführung?

Seine zentrale These ist: Das Leben ist ein Drama, dem wir uns stellen müssen. Das Leben bringt Leid und die Notwendigkeit mit sich, Opfer zu erbringen. Zudem denkt Peterson überhaupt nicht strukturell. Es sind also nicht die Männer oder der Kapitalismus schuld am indivi­duell erfahrenen Unrecht. Vielmehr sind es einzelne Menschen, die andere Menschen demütigen oder klein halten. Deshalb appelliert Peterson an den einzelnen Menschen, sich seiner Stärke bewusst zu werden.

«Wage es, gefährlich zu sein, sei kein Opfer», rät Peterson seinen Leserinnen und Lesern. Das passt schlecht zur christlichen Botschaft, die dazu aufruft, auf das Zurückschlagen zu verzichten.

Bei Peterson geht es nicht primär um physische Stärke, sondern darum, sich selbst als Wesen mit Würde zu respektieren und das auch von Anderen zu erwarten. Christus am Kreuz ist für ihn der Archetyp, dass wir mit Opferbereitschaft zu neuem Leben gelangen können. Gelingendes Leben bedeutet nicht, reich, klug, mächtig, schön zu sein. Sinnvoll zu leben heisst, loyal zu sein in Beziehungen, aufrecht zu gehen und andere Menschen als aufrechte Wesen zu akzeptieren. Ziel des Lebens ist Sinn und nicht Glück oder Konsum. Das ist kein leichter Weg. Deshalb braucht es Opfer.

Der biblische Opferbegriff ist komplex. Wird ihm Peterson gerecht?

Da kann man ihm wenig vorwerfen. Er hat andere blinde Flecken mit Blick auf die christliche Lehre. So verspricht er, dass jeder Mensch in kleinen Schritten seine Situation verbessern kann. Etwas wie Gnade kommt bei Peterson nicht vor. Dass das Leben ein Geschenk ist und wir auf viele Dinge, die wir selbst nicht beeinflussen können, angewiesen sind, spielt in seinem Konzept der Lebensführung keine Rolle. Auch der christliche Gedanke, dass andere Menschen auf uns zukommen und wir in der Gemeinschaft die Welt verbessern können, ist bei ihm nicht zu finden.

Lebensberater mit Millionenpublikum

Der klinische Psychologe Jordan Peterson veröffentlichte 2018 den Rat­ge-ber «12 Rules for Life», der inzwischen über drei Millionen Mal verkauft wurde. Bekannt wurde der 1962 geborene Kanadier auch durch seinen Protest gegen ein Gesetz, das in seinem Heimatland das Verwenden von Transgen­derbegriffen vorschreibt. Peterson kritisiert Identitätspolitik und Feminismus als «postmoderne Ideologien» und fürchtet, dass die politische Korrektheit die Redefreiheit zunehmend einschränkt. Zurzeit soll er sich wegen Medikamentenabhängigkeit in einer Entzugsklinik befinden.

Peterson wird vorgeworfen, dass er bei Rechtsextremen gut ankommt. Grenzt er sich zu wenig ab?

Peterson ist konservativ, weil ihm Traditionen etwas bedeuten. Er ist zugleich liberal, weil er das Individuum ins Zentrum stellt. Da ist bestimmt nichts politisch Extremes dabei. Interessant für rechte Bewegungen macht ihn seine scharfe Kritik an der politischen Korrektheit. Aber wenn ein Autor in problematischen Kreisen gut ankommt, weil er selektiv gelesen wird, kann man ihn dafür nicht verantwortlich machen.

Jordan Peterson wird nicht sorgfältig genug gelesen?

Ja. Das gilt für seine Gegner genauso wie für seine Verehrer. So wird beispielsweise im Streit um seine Kritik am Feminismus von beiden Seiten ignoriert, dass er gleichzeitig den Machismo harsch kritisiert.

Markus Huppenbauer

Markus Huppenbauer

Der Ethikprofessor leitet das Zentrum für Religion, Wirtschaft und Politik an der Universität Zürich. Zu seinen Forschungsinteressen zählen Fragen der Wirtschaftsethik und der ethischen Entscheidungsfindung. Er hält die Vorlesung «12 Rules for Life: Lebens­führung in modernen Gesellschaften».