Schwerpunkt 25. März 2020, von Rita Gianelli, Nicola Mohler

Die Botschaft von Batman und der Bibel

Comics

Der Religionswissenschaftler Jürgen Mohn erklärt, was der Umgang mit Religion in Comics über unsere Gesellschaft aussagt und welche Geschichten sich schlecht verkaufen.

Haben Sie einen Lieblingscomic?

Jürgen Mohn: Mein Favorit ist von Marc-Antoine Mathieu und heisst «Gott höchstpersönlich». Dieser Comic ist nicht nur künstlerisch herausragend. Auch inhaltlich regt er enorm zum Denken an. Der französische Autor geht der Frage nach, was passieren würde, wenn in un­serer durchmedialisierten Welt Gott erschiene. Der Künstler stellt dies mit grosser Sachkenntnis dar. Man könnte meinen, ein Theologe sei Au­tor dieses Comics gewesen.

Was fasziniert Sie an Comics?

Ich bin mit Asterix sowie mit Tim und Struppi aufgewachsen. Später lernte ich durch meinen Schwager dann die Welt der französischen Erwachsenen-Comics kennen, die sogenannten Bandes Dessinées und die Graphic Novels. An Comics fasziniert mich, dass Bild und Text un­ter­schied­lich genutzt werden können. Oder dass ich als Leser von jedem Einzelbild zum nächsten, den sogenannten Panels, Gedankenarbeit leisten muss. Aber nicht nur die einzelnen Panels, auch die Seite als Gan­zes hat einen ästhetischen Effekt. Zudem lernen wir viel über unsere Gesellschaft, wenn wir Comics dahingehend betrachten, wie sie über Religion sprechen.

Inwiefern?

Der Status von Religion ist heute diversifizierter, individueller, spielerischer und fundamentaler zugleich. Jedes Individuum stellt sich seine eigene Spiritualität zusammen. Die Comic-Kultur ist zu einer religionsgeschichtlichen Nische geworden. In Comics werden Religionen neu erfunden, ausprobiert und imaginär getestet. Es gibt eine ganze Generation von Autoren, die in ihren Werken eigene Formen von Göttern und Spiritualität entwickelt haben. Dabei geht es um Ordnung und Konflikt, Sinnstiftung und Krise. Religion ist aber auch ein guter Verkaufsschlager. Sie wird mit Geheimnis, Kraft und Myste­rium in Ver­bindung gebracht.

Aus Comcis entstehen neue Reli­gionsgemeinschaften?

Ja, es gibt sogenannte «fiction-based religions». Sie nutzen fiktive Tex­te als Grundlage für ihre Reli­gion.  In England etwa haben sich die Jedi-Ritter aus den Star-Wars-Filmen als Religionsgemeinschaft eintragen lassen. Erfundene Religionen wie die des Spaghetti-Monsters machen sich auch über die Religion lustig und wollen aufzeigen, dass es Rationalität nicht gibt, sondern wir in absurden Zeiten leben.

Was ist an Eva Müllers Comic zu Ostern typisch für aktuelle Comics?

Typisch etwa sind die Anleihen an die Kunstgeschichte: Eva Müller zeich­net auf Seite 6 in einem grossen Einzelbild das Abendmahl von Leonardo Da Vinci nach. Direkt unter Jesus am Tisch setzt sie dann ein Panel mit dem leeren Grab. Das verleiht Gewicht. Auch das Symbol des Eis, das für die Auferstehung steht, ist gut eingearbeitet. In wenigen Bildern und kurzen Texten erzählt Eva Müller die Ostergeschichte und wählt ein Ende, das zum Nachdenken anregt. Ein guter Comic ist intellektuell anspruchsvoll.

War Religion in Comics schon immer ein Thema?

Nein. Erst vor etwa 40 Jahren erhielten in ameri­kanischen Comics die Superhelden wie Superman, Bat­man oder Captain Ame­­rica religiöse Züge. Bei den Zuschreibungen dominierte über vie­le Jahre hinweg das protestantische oder evangelikale Gedankengut. Interessanterweise waren die Schöpfer der Figuren damals mehrheitlich jüdischer Herkunft.

Was hat sich verändert?

Die institutionalisierten Interpretationsprozesse von Religion haben sich verlagert. Nicht mehr die Kirche sagt, was Religion zu sein hat. Das Individuum entscheidet für sich selbst. Das ist auf die wachsende Vielfalt der Glaubensbewegungen, die Auflösung von Familienstrukturen, die Medialisierung von Religion und den höheren Bildungsgrad zurückzuführen. In Zeiten, in denen sich alte Ordnungen auflösen, bieten Comics – wie auch Film, Musik, Literatur – alternative Orientierungsmöglichkeiten und Werte. Religion kann in der Popu­lärkultur frei behandelt werden.

Nie gab es so viele Comics mit re­li­gi­ö­sen Inhalten wie heute. Warum?

Religiöse Comics haben einen ökonomischen und einen unterhalten­den Faktor. Die Religion bietet den Menschen Spielraum für Fantasie. Und der freie Umgang mit Religion in Comics passt in den Markt von Angeboten der Sinnsuche.

Gilt das auch für die Schweiz?

Nehmen wir die Stadt Basel als Beispiel: Rund 15 Prozent der Bevölkerung bezeichnen sich als Reformierte, etwas weniger als Katholiken und eine grosse Mehrheit hat keine Kon­fession. Das heisst aber nicht, dass sie areligiös sind. Sie lassen sich ein­fach nicht mehr eindeutig einer Religion zuordnen. Sie suchen nach Sinn und  finden Antworten in anderen Religionen. Früher nannte man das Synkretismus: sich mit Ideen und Philosophien ein eigenes Weltbild zu schaffen. 

Im 19. Jahrhundert etwa suchte man nach einer Einheitsreligion.

Genau. Dieses Phänomen jedoch war den Intellektuellen vorbehalten, sprich einer Minderheit. Heute ist das anders: Jedem Menschen ist dieses Zusammenfügen von Elemen­ten aus verschiedenen Religionen und Weltanschauungen möglich. Ei­ne wichtige Rolle spielt das Internet als Quelle für Information.

Können Comics eine Chance für die Kirchen sein?

Absolut. Die Botschaft der Kirche und des Christentums lebt in Comics weiter, teilweise wird sie transformiert. Die Superhelden in den amerikanischen Comics haben die gleichen Botschaften, wie wir sie in der Bibel finden: Es geht um den Kampf gegen das Böse oder den Erlöser, der die Ordnung in der Gesellschaft wiederherstellt. Denken Sie an Superman: Er rettet die Welt, stirbt und kommt zurück. Sein Geburtsname lautet Kal-El. Das ist Heb­­­räisch und heisst die Stimme Gottes. Vielleicht könnten die Kirchen den christ­l­ichen Kontext der Comics auf­zeigen und auf Anknüpfungspunkte zur Bibel hinweisen.

Die Superhelden der amerika­nischen Comics haben die gleichen Botschaften, wie wir sie in der Bibel finden.
Jürgen Mohn, Religionswissenschaftler und Comic-Experte

Evangelikale in den USA distanzierten sich von den Superhelden und wollten mit eigenen Bibel­heften Jugendliche ansprechen.

Comics können verschieden eingesetzt werden: entweder zum freien Umgang mit Religion oder eben zur sinngetreuen Erzählung etwa von Bibelgeschichten. In Frankreich gab es Versuche, die ganze Bibel in einer Comic-Reihe wiederzugeben. Aber die Reihe verkaufte sich schlecht. Man darf die Ökonomisierung der Gesellschaft nicht unterschätzen: Gekauft wird, was anregt, provoziert. Standardgeschichten verkaufen sich nur schlecht.

Wie interpretieren Sie, dass Leute in Comics Spiritualität suchen?

Wir leben in einer offenen Gesellschaft, welche die individuelle Auseinandersetzung mit Religion zulässt. Denkt man an die Anschläge auf die Redaktion von «Charlie Hebdo», nachdem sie Mohammad-Karikaturen publizierten, zeigt sich aber auch, dass nicht alle Gemeinschaften den freien Umgang mit Religion in Comics tolerieren.

Und wo stösst das Medium Comic an Grenzen?

Es gibt die Grenze des Anstössigen. Sie zeigt sich, wenn Religionsge­mein­schaften gegen ihre Darstellung in Comics oder Karikaturen protestieren. Die wahre Grenze ist aber die Ökonomie. Was der Markt akzeptiert, hängt von den Werten ei­ner Gesellschaft ab. In Europa sind wir mittlerweile sehr offen. Interessant ist, dass beispielsweise in amerikanischen Comics keine indischen Gottheiten vorkommen. Diese Götter-Ikonografie basiert auf klaren Vorgaben. Würde sie in Comics frei interpretiert, wäre in Indien mit Auf­ständen zu rechnen.

Es gibt unzählige Comics. Wie verschaffen Sie sich einen Überblick?

Tatsächlich werden immer mehr Comics übersetzt. Kulturen vermischen sich, das Spektrum wird breiter. In Indonesien zum Beispiel gibt es eine riesige Comic-Kultur. Das Genre ist inzwischen unüberschaubar geworden. Ich muss gestehen, ich gehe nicht mehr gerne in die Comicabteilung in der Buchhandlung. Es gibt zu viele Werke. Die kann ich gar nicht mehr alle konsumieren.

Was ist Ihr aktueller Forschungsschwerpunkt?

Zurzeit vergleiche ich die Entwick­lung der Comics in Japan und Eu­­­ropa. Japan hat eine grosse plurale Kultur, es ist nie ein Problem gewesen, unterschiedliche Religionen zu kombinieren. In Europa ist heute eine ähnliche Tendenz festzustellen. Dass das Christentum in Ja­­pan bekannt wurde, ist nicht zuletzt den japanischen Comiczeichnern zu­zuschrei­ben. Co­mics sind inzwi­schen zu ei­nem stän­dig wachsenden Archiv einer modernen religiösen Experimentkultur geworden.

Wie meinen Sie das, dass Comics die Funktion eines Archivs haben?

Mittlerweile gibt es einen riesigen Fundus an Göttern und Spiritualität in Comics. In Comics wird Religion nicht nur thematisiert, sondern auch reflektiert, konstruiert und verkauft. Sie ermöglichen die Auseinandersetzung mit Religion aus einer gewissen Distanz.

Welche Auswirkung hat diese distanzierte Erzählweise?

Ich möchte es am Beispiel von der Taufe Jesu durch Johannes den Täu­fer im Fluss Jordan aufzeigen. Diese Szene wurde im Mittelalter häufig auf bronzenen Taufbecken dargestellt. Bronze ist ein hochwertiges, teures Material und hat eine sakrale Bedeutung. Comics hingegen werden auf billigem Papier gezeichnet und sind Massenware. Werden solche einst sakralen Szenen wie jene von der Taufe Jesu in der Popu­lärkultur dargestellt, wird eine religiös heilige Dimension zerstört.

Religion ist längst zu einer Weltanschauung unter vielen geworden. Zeigt sich diese Entwicklung beispielhaft in religiösen Comics?

Diese extreme Verlagerung aus einem insti­tu­tio­nalisierten Interpretationsprozess von Religion zu einer freien Verfügbarkeit ist ein bemerkenswertes Phänomen in unserer Gesellschaft. Diese Entwicklung füh­re ich auch auf den Protestantismus zurück. Er förderte den individuellen Umgang mit der spirituellen Dimension und der Bibel.

Jürgen Mohn, 57

Jürgen Mohn, 57

Der Professor für Religionswissen­schaf­ten ist auch Gleichstel­lungs­beauf­tragter der Theologischen Fakultät an der Universität Basel und forscht unter anderem zu Religion in Erzählkul­turen, insbesondere in den Comic-Kulturen. Jürgen Mohn ist in der Schweiz der einzige Dozent, der regelmässig Veranstaltungen zum Thema «Religion in Comics» – auch für Theologiestudierende – anbietet.

Comics

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Marc-Antoine Mathieu: Gott höchstselbst. 128 Seiten, Reprodukt.

Reto Gloor: Das Karma-Problem: MS - Eine unheilbare Krankheit übernimmt die Kontrolle. 96 Seiten, Edition Moderne 2015.

 Aike Arndt: Das Nichts und Gott. 68 Seiten, Zwerchfell 2015.

Eva Müller: Sterben ist echt das Letzte! Schwarzer Turm.

Matthias Gnehm: Die Bekehrung. Edition Moderne 2011.

Frenk Meeuwsen: Zen ohne Meister. 304 Seiten, Avant Verlag 2017.