«Zum ersten spricht Christus Mathei 15: Das da ingadt in den Mund, vermassget (verunreinigt, Red.) den Menschen nit...» Aus diesen Worten, so der Text weiter, merke jedermann wohl, dass keine Speise, die mit Mass und Dankbarkeit genossen werde, den Menschen zu verunreinigen möge.
Das sind Passagen aus einer SchriftdesZürcher Leutpriesters Huldrych Zwingli vom 16. April 1522. Gedruckt hatte das Werk Zwinglis Freund Christoph Froschauer. Es basierte auf einer kurz zuvor gehaltenen Predigt Zwinglis, die eigentlich eine Verteidigungsrede für Froschauer war. Denn der Drucker hatte sich erdreistet, am 9. März 1522, dem ersten Sonntag der Fastenzeit, in seinem Haus für sich und seine Druckergesellen und im Beisein mehrerer weltlicher und geistlicher Honoratioren ein Wurstessen zu veranstalten, als Protest gegen das Abstinenz- und Fastengebot. Der Grosse Rat ordnete sofort eine Untersuchung zum frechen Fastenbruch an.
Zwinglis von der Kanzel gepredigte«Meynung», ob es statthaft sei, die Speisen zu bestimmten Zeiten zu verbieten, erschien bereits am Gründonnerstag im Druck und löste eine breite Kontroverse aus. Das provokative Verzehren einer in dünne, oblatengleiche Scheiben geschnittenen Rauchwurst gilt seither, wie man heute sagen würde, als «Kick-off» der Reformation in Zürich.
Sind Wurstsessen, wie sie dieser Tage manchenorts inszeniert werden, einfach folkloristische Vermarktung des Reformationsjubiläums? Nein. «reformiert.» hat sachkundige Menschen zu Tisch gebeten, weil sich zum deftigen Schmaus vortrefflich über Religionsgeschichte, über Trennendes und Verbindendes, über Ökumene, Kultur und Volkstum disputieren lässt. Auch im Volk ist die Symbolkraft der Wurst durchaus lebendig: Das Zürcher Oberland etwa, einst umkämpftes Grenzland des reformatorischen Zürich zum gasterländischen Katholizismus, pflegt noch heute liebevoll den Brauch des «Schübligziischtig».
Nicht wie im katholisch-alemannischen Raum am «Schmutzigen Donnerstag», zum Auftakt der Fasnachtstage, wurde und wird hier seit der Reformation das Wurstessen zelebriert, sondern erstam Dienstag unmittelbar vor Aschermittwoch, hart an der Grenze zur obrigkeitlich und klerikal verordneten vierzigtägigen fleischlosen Fastenzeit. Und dank Vakuumierung lässt sich die an sich rebellische Tat auch heute noch vollbringen: den Schübling einige Tage nach Aschermittwoch zu verzehren.