Schwerpunkt 29. August 2018, von Delf Bucher

Der «ewige Jude» – modern eingekleidet

Verschwörungstheorien

Jüdisch, reich und politisch einflussreich: Das macht den Milliardär und Philanthropen George Soros zur idealen Projektionsfläche für Verschwörungstheoretiker.

George Soros ist schwerreich. Mit 25 Milliarden Dollar gehört er zu den reichsten Männern der Welt. 18 Milliarden seines Vermögens hat er im vergangenen Jahr in die Open Society Foundation gesteckt, die weltweit Menschenrechts- und Demokratiegruppen unterstützt. Bereits zuvor alimentierte er die von ihm gegründete Stiftung mit 14 Milliarden Dollar. Damit ist Soros der zweitgrösste philanthropische Kapitalist nach Bill Gates.

Reichtum macht berühmt. Mehr als sieben Millionen Artikel und Blogs sind zu finden, wenn man in der Google-Suchmaske den Begriff «George Soros» eingibt. Viele Internetseiten beschäftigen sich allerdings weniger mit der Wohltätigkeit des US-Investors, sondern sind auf eines fixiert: Soros ist jüdischer Abstammung.

Reich und Jude – das ist der Stoff, aus dem Verschwörungstheo­rien gemacht sind. Schon lange geistert der Mythos von den reichen Juden herum, die sich gegen die ganze Welt verschworen haben. Im Schlüs­seldokument des Antisemitismus «Die Protokolle der Weisen von Zion» wird einem Juden folgender Satz in den Mund gelegt: «Das Gold ist das neue Jerusalem – es ist die Herrschaft der Welt. Es ist Macht, es ist Vergeltung, es ist Genuss – also alles, was die Menschen fürchten und wünschen.»

«Kopf der jüdischen Mafia»

Seit gut drei Jahrzehnten versuchen antisemitische Propa­gandisten, George Soros zum modernen Wiedergänger dieser Legende zu machen. «Clinton ist ­eine Marionette von George Soros», vermeldet das Konspirativ-Internetportal Prav­da TV. Und Alex Jones, Amerikas oberster Verschwörungstheoretiker, fragt sich in seiner Show: «Warum will Soros die Welt brennen sehen?» Jones, dessen aggressives Profil von Facebook gelöscht wurde, bezeichnet den Philanthropen auf seiner Plattform «Infowar» als «Kopf der jüdischen Mafia».

Längst sind die schrillen Stereotypen, die Soros zur Neuauflage des «Ewigen Juden» machen, mitten in der Politik angekommen. Sein Name wurde von Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan in den letzten Monaten im Zusammenhang mit einer Verschwörung genannt.

Besonders ins Visier genommen hat der ungarische Staatschef Victor Orbán den 1930 in Ungarn geborenen US-Financier. Ironie dabei: Soros hat dem Politiker sein Studium in Oxford bezahlt. Das ging aber im jüngsten Wahlkampf vergessen. Orbáns Fidesz-Partei tapezierte ganz Budapest mit Anti-Soros-Plakaten. Darauf ist der Philanthrop lachend zu sehen, und neben dem Foto steht: «Las­sen wir nicht zu, dass es Soros ist, der am Ende lacht!»

Flüchtlingskrise ausgelöst

Dahinter steckt die These, die Victor Orbán in seinen Wahlkampfkundgebungen gebetsmühlenartig wiederholt hat: Soros dirigiere Millionen von Flüchtlingen nach Europa, um so den alten Kontinent zu zerstören. Vor Zehntausenden von Anhängern sagte er: «Wir kämpfen gegen einen Feind, der im Verborgenen kämpft; nicht direkt, sondern listig; nicht national, sondern international; ein Feind, der nicht an Arbeit glaubt, sondern mit Geld spekuliert; der kein eigenes Heimatland hat, sondern glaubt, ihm gehöre die ganze Welt.»

Eine antisemitische Aussage? Na­türlich bestreitet Orbán das. Aber er bedient sich, wie das Zitat zeigt, aller Stereotypen des Antisemitismus, wie sie auch in den hetzerischen «Pro­tokollen» den Juden zugeschrie­ben werden: heimatlos, verschwörerisch, konspirativ und mit Geld spe­kulierend.

Juliane Wetzel, Historikerin vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin, weist auf die innere Verwandtschaft zwischen dem zentralen Dokument des Antisemitismus und Soros hin. Auch in den um 1900 in Umlauf gebrachten «Protokollen» nutzen die Juden angeblich die Parlamente als Hebel, um die Monarchien zu stürzen.

Und heute wird von Russland über Ungarn bis nach Mazedonien der Verdacht geäussert, dass die durch die Open Society Foundation geförderten Menschenrechts- und Demokratiegruppen zum Ziel hätten, die autokratischen Regimes zu destabilisieren. Der US-Investor ist ein Allround-Feindbild, wie die Antisemitismus-Forscherin Wetzel unterstreicht: «So­ros ist wirklich die Chiffre, an der alles Unglück dieser Welt festgemacht werden kann.»

Verleumdet als Nazi-Helfer

Selbst der glückliche Umstand, dem Holocaust entkommen zu sein, ist Anknüpfungspunkt für finstere Un­terstellungen. So behauptete etwa Glenn Beck in einer für Fox News moderierten Show, dass Soros «Juden in die Gaskammer geschickt» habe. In Wahrheit hat er als 14-jähriger Junge im faschistischen Ungarn überlebt, indem er sich als Christ ausgegeben hat.

Was dem Ruf von Soros geschadet hat: Im Jahr 1992 hat der Investor mit grossem Einsatz gegen das Pfund gewettet und gewonnen. Die bri­tische Währung geriet in Turbulenzen. Dass Soros bis heute die Moral des Privatmannes von seinem Geschäftsgebaren trennen will, ist zwar prob­­lematisch. Aber Ethik-Debatten werden von den Verschwörungs­theoretikern kaum geführt. Sie nut­zen Soros, um das alte Klischee vom ewig reichen Juden modern einzukleiden.

Die abgründige Fantasie kennt kaum Grenzen. Ken Jebsen etwa, einst ein preisgekrönter deutscher Radiojournalist, unterstellte Soros auf seiner Internetseite Folgendes: Der progressive Mäzen unterstütze US-amerikanische Feministinnen, damit die Abtreibungsquote steige und Soros die Embryos an die Pharma-Industrie verkaufen könne.

Gefälschte «Protokolle»

Das zeigt: Groteske Kolportage gehörte schon immer zum Repertoire jener, die Verschwörungstheorien in die Welt setzen. Selbst Gerichte sind machtlos. 1935 taxierte ein Berner Gericht die «Protokolle der Weisen von Zion» als Fälschung und verbot die weitere Verbreitung der «Schundliteratur». 2018 aber kur­siert die Schrift immer noch im Internet.

«Viele Antisemiten räumen sogar ein, dass es sich um eine Fälschung handelt», erklärt Juliane Wet­­zel gegenüber «reformiert.». Letztendlich würde es den Mechanismus jüdischer Machenschaften gut beschreiben, argumentierten sie. So bleibt George Soros für die Antisemiten ein Schlüssel, um stets von Neuem ihr finsteres Weltbild zu bestätigen.

George Soros, 87

Mit seinem Hedgefond häufte George Soros ein Milliardenvermögen an, das nun seiner Stiftung Open Society Foundation zukommt. Schon in den 1970er-Jahren unterstützte der liberale Soros Dissidenten in Osteuropa – ein Engagement, das er nach der Auflösung des Ostblocks verstärkte. Russland und Ungarn reagierten mit restriktiven Gesetzen gegen NGOs, um Soros’ Einfluss zu mindern.