Schwerpunkt 27. Dezember 2018, von Hans Herrmann

Ein Name und seine grossen Spuren

Ohne Zwingli

Was wäre ohne das Wirken Huldrych Zwinglis? Ziemlich Zentrales wäre anders, zeigen vier historische Spekulationen 500 Jahre nach seinem Amtsantritt in Zürich.

Was wäre gewesen, wenn die Kreuzfahrer 1099 Jerusalem nicht eingenommen hätten? Wenn Kolumbus 1492 auf seiner Entdeckungsfahrt über den unbe­kannten Atlantik in einen Sturm geraten und auf den Azoren Schiffbruch erlitten hätte? Wenn der russische Exilant Lenin 1917 einen Berner Bauernhof gekauft und als Viehzüchter in der Schweiz geblieben wäre? So zu fragen, ist mehr als ein müssiges Spiel. Denn «virtuelle» oder «kontrafaktische» Geschichte zeigt, dass das Geschehen dieser Welt immer auch anders hätte verlaufen können – und letztlich ein Produkt aus Zufall und Unvorhersehbarem ist. Und sie macht deutlich, dass es in vielen Fällen die Stärken und Schwächen Einzelner sind, die den Lauf der Dinge beeinflussen.

Was wäre gewesen, wenn Huldrych Zwingli (1484–1531) nicht zum wirkungsmächtigen Kirchenkritiker und Neuerer des Glaubens geworden wäre? 500 Jahre ist es her, seit der Toggenburger Bauernsohn sein Amt als Leutpriester in Zürich antrat – ein folgen­schwerer Schritt, wie sich zeigen soll­te. Ohne Zwingli sähe die kirchliche, politische und wirt­schaft­liche Landschaft der heutigen Schweiz anders aus. Vielleicht gäbe es die Schweiz gar nicht. Und sogar welthistorische Geschehnisse hätten sich ohne sein Wirken womöglich anders entwickelt. In diesem Dossier präsentiert «reformiert.» vier Thesen, die aufzeigen, was hätte geschehen können, wenn der Zürcher Reformator nicht auf den Plan getreten wäre.

Zugegeben: Heute wird Geschich­te nicht mehr so sehr als das Wirken einzelner Kraftgestalten wie Caesar, Napoleon, Bismarck oder eben Zwingli verstanden. Son­dern eher als Produkt kollektiver Strömungen, Wirkungen und Wech­selwirkungen, in denen die Taten Einzelner allenfalls auslö­sende und vorantreibende Wirkung haben. Anders gesagt: Wäre Zwingli nicht gegen die katholische Kirche, ihre Lehren, ihre Hierarchie und ihre Prunkentfaltung aufgestanden, hätte es aus dem Zeitgeist heraus einfach ein anderer ge­­tan. Vermutlich. Aber es war eben kein anderer, es war Zwingli. Er war der rechte Mann zur rechten Zeit am rechten Ort. Er war ge­tragen von günstigen Umständen, begabt im Denken und Reden, beharrlich und politisch wach, unterstützt von wichtigen Weggefährten. Ohne ihn wäre einiges anders gekommen – so viel lässt sich mit Gewissheit sagen.