Wie es wirklich war: Beseelt vom neuen Glauben, wollte Huldrych Zwingli die Eidgenossenschaft umgestalten – auch mit Gewalt. 1531 kam es bei Kappel am Albis zur Konfrontation mit einem katholischen Heer. Diesmal wurde, anders als 1529, nicht bei Milchsuppe Verbrüderung gefeiert, sondern wirklich gekämpft. Zwingli fiel, die militärische Niederlage führte politisch zum Patt zwischen den Konfessionen und zur aussenpolitischen Isolation. Die Bündnisfreiheit bewahrte die Eidgenossen vor den Wirren des Dreissigjährigen Kriegs. Im Westfälischen Frieden 1648 lösten sie sich völkerrechtlich vom Deutschen Reich.
Wie es wäre: 1519 gab es keine Schweiz. Die 13 Orte Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Glarus, Zürich, Zug, Bern, Freiburg, Solothurn, Basel, Schaffhausen und Appenzell bildeten in der sogenannten «Eidgenossenschaft» eine lockere, durch Bündnisse, gemeinsame Untertanengebiete und die Tagsatzung verbundene Allianz freier Reichsstände. Die Zugehörigkeit zum Heiligen Römischer Reich Deutscher Nation war unstrittig, auch wenn einzelne Stände sich aussenpolitisch selbstbewusst und expansiv gebärdeten.
Wichtige Neutralisierung
Ohne Zwinglis eigenständige, von Luther theologisch deutlich abgegrenzte Reformation hätte der neue Glaube kaum lokal- und regionalpolitisch staatskirchliche Bedeutung erlangt, wie das in der Realität in den Stadtständen Zürich, Bern und Basel der Fall war.
Konfessionelle Konflikte hätte es, wie überall im Reich, mit Sicherheit auch innerhalb der Eidgenossenschaft gegeben, und Ereignisse wie der erste Kappeler «Krieg», der im Jahr 1529 ohne Kampfhandlungen und gegen Zwinglis Widerstand mit einem Kompromiss endete, wären durchaus auch in diesem fiktiven Szenario denkbar gewesen. Eine dramatische Schlacht wie der zweite Kappelerkrieg zwei Jahre später ist jedoch unwahrscheinlich. Für die weitere Entwicklung der Eidgenossenschaft bis hin zum modernen Bundesstaat 1848 und zur Willensnation würde damit ein wichtiges Element fehlen: die innenpolitische Neutralisierung der beiden konfessionellen Lager, die sich ab 1531 argwöhnisch beobachteten und aussenpolitisch blockierten. Gerade dies war aus heutiger Sicht überaus förderlich für einen Loslösungsprozess vom Deutschen Reich, der mit Zwinglis eigenständigem reformatorischem Weg seinen Anfang nahm.
Gefährliche Bündnispolitik
Ohne die Ereignisse von Kappel, die letztlich auf Bündnisse der beiden konfessionellen Lager mit europäischen Grossmächten zurückzuführen waren, hätten die Stände ihre europäische Bündnispolitik fortgesetzt. Für ein lutherisches Zürich hätte es keinen Grund gegeben, im Dreissigjährigen Krieg (1618–1648) Bündnisangebote Schwedens abzulehnen. Und die katholischen Orte hätten 1633 aufgrund eines Hilfsbündnisses mit dem Bischof interveniert, als schwedische Truppen auf eidgenössischem Boden von Stein am Rhein gegen Konstanz zogen. Die Schweiz wäre Kampfzone des ersten grossen europäischen Krieges geworden und hätte sich 1648 völkerrechtlich nicht vom Deutschen Reich gelöst.
Ohne diesen wichtigen ersten Schritt in die Eigenstaatlichkeit 150 Jahre vor dem Auftreten Napoleons wäre die Eidgenossenschaft beim Wiener Kongress 1815 auf die Grossmächte aufgeteilt worden, statt ein souveräner Staat zu werden.