Schwerpunkt 27. Dezember 2018, von Thomas Illi

Ohne Kappelerkriege keine Schweiz

Ohne Zwingli

Was wäre, wenn Huldrych Zwingli Pfarrer in Glarus oder Prediger in Einsiedeln geblieben wäre?

Wie es wirklich war: Beseelt vom neuen Glauben, wollte Huldrych Zwingli die Eid­genossenschaft umgestalten – auch mit Gewalt. 1531 kam es bei Kappel am Albis zur Konfrontation mit einem katho­lischen Heer. Diesmal wurde, anders als 1529, nicht bei Milchsuppe Verbrüderung gefeiert, sondern wirklich ge­kämpft. Zwingli fiel, die militärische Niederlage führte politisch zum Patt zwischen den Kon­fessionen und zur aussenpolitischen Iso­lation. Die Bündnisfreiheit be­wahrte die Eidgenossen vor den Wirren des Dreissigjährigen Kriegs. Im West­fälischen Frieden 1648 lösten sie sich völ­kerrechtlich vom Deutschen Reich.

Wie es wäre: 1519 gab es keine Schweiz. Die 13 Orte Uri, Schwyz, Unterwalden, Luzern, Glarus, Zürich, Zug, Bern, Frei­burg, Solothurn, Basel, Schaffhausen und Appenzell bildeten in der sogenannten «Eidgenossenschaft» eine lockere, durch Bündnisse, gemeinsame Untertanengebiete und die Tagsatzung verbundene Allianz freier Reichsstände. Die Zugehörigkeit zum Heiligen Römischer Reich Deutscher Nation war unstrittig, auch wenn einzelne Stände sich aus­senpolitisch selbstbewusst und expansiv gebärdeten.

Wichtige Neutralisierung

Ohne Zwinglis eigenständige, von Luther theologisch deutlich abgegrenzte Reformation hätte der neue Glaube kaum lokal- und regionalpo­litisch staatskirchliche Bedeutung erlangt, wie das in der Realität in den Stadtständen Zürich, Bern und Basel der Fall war.

Konfessionelle Konflikte hätte es, wie überall im Reich, mit Sicherheit auch innerhalb der Eidgenossenschaft ge­geben, und Ereignisse wie der erste Kappeler «Krieg», der im Jahr 1529 ohne Kampf­handlungen und gegen Zwing­lis Widerstand  mit einem Kompromiss endete, wären durchaus auch in diesem fiktiven Szenario denkbar gewesen. Eine dramatische Schlacht wie der zweite Kap­­pelerkrieg zwei Jahre spä­ter ist jedoch unwahrscheinlich. Für die weitere Ent­wicklung der Eidgenossenschaft bis hin zum modernen Bundesstaat 1848 und zur Willensnation würde damit ein wich­tiges Element fehlen: die innenpolitische Neutralisierung der beiden konfessionellen Lager, die sich ab 1531 argwöhnisch beobachteten und aussenpolitisch blockierten. Gerade dies war aus heu­tiger Sicht überaus förderlich für einen Loslösungsprozess vom Deutschen Reich, der mit Zwinglis eigenständigem reformatorischem Weg seinen Anfang nahm.

Gefährliche Bündnispolitik

Ohne die Ereignisse von Kappel, die letztlich auf Bündnisse der beiden kon­fessionellen Lager mit europäischen Grossmächten zurückzuführen waren, hätten die Stände ihre europäische Bündnispolitik fortgesetzt. Für ein lutherisches Zürich hätte es keinen Grund gegeben, im Dreissigjährigen Krieg (1618–1648) Bündnisangebote Schwedens abzulehnen. Und die katholischen Orte hätten 1633 aufgrund eines Hilfsbündnisses mit dem Bischof interveniert, als schwedische Truppen auf eidgenössischem Boden von Stein am Rhein gegen Konstanz zogen. Die Schweiz wäre Kampfzo­ne des ersten gros­sen europäischen Krie­ges geworden und hät­te sich 1648 völkerrechtlich nicht vom Deutschen Reich gelöst.

Ohne diesen wichtigen ersten Schritt in die Eigenstaatlichkeit 150 Jahre vor dem Auftreten Napoleons wäre die Eidgenossenschaft beim Wiener Kon­gress 1815 auf die Grossmächte aufgeteilt worden, statt ein souveräner Staat zu werden.