Wie es wirklich war: 1528 schloss sich Bern der von Zürich ausgehenden Reformation an. Als mächtiger Stadtstaat übernahm Bern die Protektion der Genfer Kirche und trug dazu bei, dass sich in Genf der Reformator Johannes Calvin durchsetzte. Der Calvinismus, der den freiheitlichen Gedanken der Selbstverantwortung förderte, wurde zum Exportschlager. Über die Seefahrernationen England, Holland und Schottland gewann der Calvinismus Einfluss auch in der Neuen Welt. Hier etablierten sich presbyterianische Strukturen, die zu einem demokratischen Denken in den Kolonien führten.
Wie es wäre: Mit dem Schiff «Mayflower» erreichten 1620 die ersten englischen Siedler Neuengland auf nordamerikanischem Boden. Im heutigen Massachusetts gründeten die Ankömmlige die Kolonie Plymouth. Sie hatten England und Schottland verlassen, weil sie sich von der anglikanischen Kirche unterdrückt fühlten: Sie hatten sich von der Church of England gelöst und forderten Gemeindeautonomie.
Die presbyterianischen Siedler folgten den Lehren des Reformators Johannes Calvin (1509–1564). Ohne ihn hätten sie weder ein Exemplar der Genfer Bibel von 1560 im Gepäck gehabt noch ein demokratisches Kirchenverständnis mitgebracht. Calvin, ein Schützling der zwinglianischen Grossmacht Bern, sah die Einheit der Kirche nicht durch das Papsttum garantiert, sondern allein durch Jesus Christus. Aufgrund dieser Auslegung führte der Genfer ein partizipatives Leitungsamt in der Kirche ein.
Briten weiterhin Weltmacht
Ohne dieses Gedankengut hätte sich die Idee von der Selbstverantwortung während den ersten Erweckungsbewegungen zwischen 1730 und 1760 in Amerika kaum so stark manifestiert. Weder hätten das demokratische Denken und damit der Aufstand gegen die mächtige britische Kolonialherrschaft Fahrt aufgenommen, noch hätten sich die 13 britischen Kolonien zuletzt von ihrem Mutterland England losgelöst.
Ohne das Nachwirken der «Reformation made in Switzerland» wäre am 4. Juli 1776 nicht die Unabhängigkeitserklärung proklamiert worden, und die Vereinigten Staaten von Amerika gäbe es nicht. Die USA wären wie der nördliche Nachbar Kanada bis ins 20. Jahrhundert der englischen Krone verbunden geblieben. Somit wäre Amerika nicht zur Weltmacht aufgestiegen, hätte die globale Politik und Wirtschaft nicht dominiert. Das britische Empire hingegen hätte seine Stellung als See- und Weltmacht bis in die Gegenwart erhalten.
Weniger sendungsbewusst
Da die überseeischen Kolonien weiterhin Teil des Empire geblieben wären, hätte sich das Präsidentamt in Amerika anders ausgestaltet: Statt gleichzeitig Staatsoberhaupt und Regierungschef zu sein, hätte sich der amerikanische Präsident der englischen Krone unterordnen müssen. Denn auf dem Territorium der heutigen Vereinigten Staaten von Amerika hätte sich anstelle einer föderalen Republik eine konstitutionelle Monarchie etabliert, deren Staatsoberhaupt gegenwärtig Königin Elisabeth II. wäre.
In Nordamerika hätte sich ohne die Schweizer Reformatoren kein religiös untermauertes Sendunsbewusstsein entwickelt. Während der Amerikanischen Revolution, sprich dem Aufstand der Siedler gegen das englische Mutterland, bildete sich nämlich ein elitäres Selbstverständnis heraus. Dieses ging mit der Überzeugung einher, dass die eigenen Gemeinden als «city upon a hill» auf Europa ausstrahlen würden. Ihr Land, davon waren die Amerikaner durchdrungen, würde letztlich der ganzen Welt als leuchtendes demokratisches und republikanisches Vorbild dienen.