Schwerpunkt 27. Dezember 2018, von Katharina Kilchenmann

Ohne Zwingli kein Paradeplatz

Ohne Zwingli

Wie hätte es kommen können, wenn Zwinglis, Calvins und Bullingers Ideen die damalige Eidgenossenschaft nicht beeinflusst hätten?

Wie es wirklich war: Zur Zeit Zwinglis befand sich die Wirtschaft im Gebiet der heutigen Schweiz in einer Flaute. Adel und Klerus profitierten vom feudalen Sys­­tem. Doch dann kamen mit den neuen Ideen des Protestantismus auch inno­va­tive Glaubens­flücht­linge in die Eidge­nossen­schaft. Das Söldnerwesen wurde abgeschafft, die Bi­bel­über­set­zungen lösten einen Bil­dungs­schub aus, und zahl­reiche katho­li­sche Feiertage wur­den gestrichen. Mit dem neuen Ar­beits­­­ethos begann ein wirtschaftli­cher Aufschwung. Der Zu­sammenhang von Kon­fession und wirtschaftlichem Erfolg wirkte sich bis ins 20. Jahrhundert aus.

Wie es wäre: Der Zürcher Paradeplatz ist zum Synonym für Banken und Wohlstand in der Schweiz geworden. Doch ohne Huldrych Zwingli und die reformatorische Überzeugung, dass auch fleissiges Wirtschaften gottgefällig ist, würden heute die Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse am ehemaligen «Saumärt» eventuell fehlen. Das Land wä­re wirtschaftlich und technologisch knapp europäisches Mittelmass, und vorab der Tourismus sorg­te für bescheidenen Wohlstand. Einheimische Banken würden le­dig­­­lich regional agieren.

So ungefähr hätte es kommen können, wenn Zwinglis, Calvins und Bullingers Ideen die damalige Eidgenossenschaft nicht beeinflusst hätten. In den Dörfern wären die agrarisch-feudalen Strukturen erhalten geblieben, und die Grundherren hätten weiterhin von der Arbeit der Bauern gelebt. Das Handwerkertum in der Städten wäre kleinbürgerlich geblieben, unter der Oberherrschaft einer Kirche, die Un­summen an Geld verschlungen hätte, um ihren repräsentativen Prunk zu finanzieren.

Insgesamt wären die Eidgenossen dem alten Glauben treu verbunden geblieben und hätten einen beträchtlichen Teil ihrer Einkünfte in Ablassbriefe für ihr Seelenheil investiert. Das einfache Volk hätte weder lesen noch schreiben können, und die Bibelauslegung wäre der priesterlichen Elite vorbehalten geblieben.

Aus- statt Einwanderer

Unternehmerische und innovative Köpfe hätten das enge Milieu ihrer Heimat verlassen und in den lutherischen Fürstentümern ein besseres Umfeld gefunden. Diese Abgänge hätten die technische und industrielle Entwicklung der Eidgenossenschaft zusätzlich blockiert. Während die Mehrheit der Bevölkerung in Armut verharrt wäre, hätten ein paar privilegierte Familien ­ihre Beziehungen ins Ausland ausgebaut, um sich an den aufflammenden Glau­benskriegen in Europa eine goldene Nase zu verdienen. Das Söldnerwesen hätte das Land international vernetzt, aber unterschwellig auch in Verruf gebracht.

Derweil hätte sich das Geldwesen in Norditalien zum florierenden Geschäft entwickelt. Anders als in den übrigen katholischen Gebieten hatte man es hier nämlich bereits im Mittelalter geschafft, Kirche und Wirtschaft miteinander zu versöhnen. Wären die Eidgenossen nicht reformiert geworden, hätten sie die Handels- und Finanzmetropolen Florenz, Venedig und Genua nicht konkurrenziert.

Somit wäre das Bankgeschäft nicht nördlich, sondern südlich der Alpen zum Erfolgsmodell geworden, und die zusätzlich beflügelnden Gedanken der Aufklärung hätten hier einen deutlich besseren Nährboden gefunden als in der katholisch-konser­va­ti­ven Schweiz. Diese wäre erst im 19. Jahr­hundert aus ihrem wirtschaftlichen und kulturellen Dämmerschlaf erwacht. Mit der zunehmenden Mobilität hätten protestantische Einwanderer Bildung und Innovation gebracht und im Land für einen verspäteten Aufschwung gesorgt. Doch die Hochfinanz wäre in italienischen Händen verblieben.