«Zwingli kannte nur eine Wahrheit»

Geschichte

Für ein von ideologischem Ballast befreiten Blick auf den Reformator plädiert Yale-Professor Bruce Gordon in seinem neuen Buch. Er spricht über Zwinglis Schwert und Pazifismus.

Als Kanadier schreiben Sie über Zwingli.  Wie sind Sie auf den Zürcher Reformator gestossen? 

Bruce Gordon: Schon als Student las ich in den 1980er-Jahren die Zwingli-Biografie eines Engländers. Das Buch faszinierte mich. Da entdeckte ich einen Reformator, dessen religiöser Aufbruch auf dem Schlachtfeld endete. 

Stichwort Religion und Gewalt: Ist dies nach 9/11 für einen Professor an der amerikanischen Yale-Universität nicht ein heikles Thema? 

Gerade diesem Widerspruch müssen wir uns stellen. Wie kam es, dass ein humanistischer Reformator zum Schluss das Schwert nimmt? Diese Frage betrifft mich als Mitglied der reformierten Kirche auch persönlich. Denn Zwingli führt mich direkt zurück zu den Wurzeln der reformierten Kirche, immerhin ein bedeutender Zweig des weltweiten Christentums. Für mich ist der von Zürich ausgehende Aufbruch in Zürich nicht eine lokale Geschichte, sondern ein globales Ereignis. 

Bruce Gordon (59)

Der Professor für Kirchengeschichte lehr an der Yale Divinity School. Bruce Gordon ist spezialisiert auf spätmittelalterliche und frühneuzeitliche Religionsgeschichte und hat ein Standardwerk zur Schweizer Reformation verfasst wie auch eine Biographie über Calvin.

Dann teilen Sie die Meinung des Schweizer Historikers Thomas Meissen, dass Zwingli der einzige Beitrag der Schweiz zur Weltgeschichte ist.

Absolut. Viele tun wirklich der Bedeutung Zwinglis unrecht, indem sie ihn zu einer lokalen Grösse schrumpfen lassen.

Manche sagen ihm politisches Geschick nach, halten ihn für theologisch für weniger bedeutend.

Ich finde die theologischen Schriften von Zwingli faszinierend und herausragend. Er hat eine poetische Kraft, eine feine Feder, die geschult ist am Humanismus. Wir dürfen nicht übersehen: Er hatte nie die Zeit wie Erasmus im stillen Kämmerlein eine durchdachte, komponierte systematische Schrift zu verfassen.

Erasmus war Gelehrter, Zwingli dagegen ein politisch agierender Kirchenreformer.

Das ist der grosse Unterschied. Alles, was Zwingli machte, musste mit ungeheurer Geschwindigkeit, mit grosser Dringlichkeit angegangen werden. Fortlaufend musste er Feuerwehrübungen unternehmen. Er war gezwungen, auf die katholische Reaktion zu reagieren, auf das Aufkommen des Täufertums, auf die Abendmahl-Kontroversen mit Luther, auf die städtische Opposition in Zürich selbst.

Was auch bedeutete: Das Politische und Prophetische fallen bei ihm zusammen.

Das ist bei ihm untrennbar miteinander verbunden. In der frühen Neuzeit waren Politik und Religion keine voneinander geschiedenen Sphären. Heute denken wir, Glaube ist etwas völlig Privates. Aber wenn wir uns die Zeit von Zwingli zurückdenken, dann sehen wir: Alle religiöse Äusserungen findet öffentlich statt. Jeder Aspekt des öffentlichen Lebens ist verwickelt mit Religion.

War Zwingli ein guter Politiker?

Er hatte ungeheure politische Stärken, aber gleichzeitig grosse Schwächen. Das Vorwärtsschreiten der Reformation mit Billigung des Rats können wir Zwingli als politischen Erfolg anrechnen, genauso wie das Verbot des Söldnerwesens 1521. Zum Schluss hatte er eine desaströse politische Fehleinschätzung geliefert, die 1531 auf dem Schlachtfeld von Kappel auch seinen Tod bedeutete.

Warum aber wurde aus dem pazifistischen Humanisten Zwingli ein bewaffneter Prophet?

Zwingli war nie ein Pazifist, wie dies Erasmus war. Wohl lehnte er den Söldnerdienst ab, weil er darin die Quelle von politischer und spiritueller Korruption sah. Aber das heisst nicht, dass er Gewalt grundsätzlich in religiösen Auseinandersetzungen ablehnte. Er glaubte daran, dass der Staat seine Autorität  mit Gewalt durchsetzen darf. Dies hat die Auseinandersetzung mit den Täufern gezeigt.

Oft wird behauptet, die Reformation sei der Wendepunkt in der Menschheitsgeschichte hin zu religiöser Toleranz.

Bedauerlicherweise zeigt sich beim Überprüfen dieser schönen Annahme, dass sie nicht stimmt. Selbst bei Erasmus finden wir keine moderne Ausformung des Toleranzbegriffes. Mit dem damaligen Weltbild war es nicht vereinbar, dass es verschiedene religiöse Wahrheiten geben könnte. Es war unmöglich zu sagen, das sind zwei unterschiedliche Weltsichten, von denen jede ein Stück Wahrheit für sich beanspruchen kann. Es gab nur die eine Wahrheit, die zum Heil führte. Das ist schwierig für uns heute zu akzeptieren.

Wie es auch für manche schwer sein wird, Ihren Buchtitel zu akzeptieren: «Gottes bewaffneter Prophet».

Klar ist der Titel etwas provokativ. Ich will niemanden damit auf die Füsse treten, aber ich will eines auch nicht verstecken: Zwinglis Leben ist gekennzeichnet von seiner prophetisch-theologischen Stimme, aber ebenso von seinem Zuspruch zur Gewalt.

Viele Zwingli-Biographen tun sich schwer, das Gewaltmoment ganz unverhüllt darzustellen.

Geradezu grotesk ist es, dass der amerikanische Theologe James Isaac Good ihn mitten im Ersten Weltkrieg zum Vordenker des friedensstiftenden Völkerbundes erhebt. Manchmal denke ich, ob da jemand wirklich vom gleichen Zwingli redet, wie ich ihn aus den Quellen erschliessen kann.