Dann teilen Sie die Meinung des Schweizer Historikers Thomas Meissen, dass Zwingli der einzige Beitrag der Schweiz zur Weltgeschichte ist.
Absolut. Viele tun wirklich der Bedeutung Zwinglis unrecht, indem sie ihn zu einer lokalen Grösse schrumpfen lassen.
Manche sagen ihm politisches Geschick nach, halten ihn für theologisch für weniger bedeutend.
Ich finde die theologischen Schriften von Zwingli faszinierend und herausragend. Er hat eine poetische Kraft, eine feine Feder, die geschult ist am Humanismus. Wir dürfen nicht übersehen: Er hatte nie die Zeit wie Erasmus im stillen Kämmerlein eine durchdachte, komponierte systematische Schrift zu verfassen.
Erasmus war Gelehrter, Zwingli dagegen ein politisch agierender Kirchenreformer.
Das ist der grosse Unterschied. Alles, was Zwingli machte, musste mit ungeheurer Geschwindigkeit, mit grosser Dringlichkeit angegangen werden. Fortlaufend musste er Feuerwehrübungen unternehmen. Er war gezwungen, auf die katholische Reaktion zu reagieren, auf das Aufkommen des Täufertums, auf die Abendmahl-Kontroversen mit Luther, auf die städtische Opposition in Zürich selbst.
Was auch bedeutete: Das Politische und Prophetische fallen bei ihm zusammen.
Das ist bei ihm untrennbar miteinander verbunden. In der frühen Neuzeit waren Politik und Religion keine voneinander geschiedenen Sphären. Heute denken wir, Glaube ist etwas völlig Privates. Aber wenn wir uns die Zeit von Zwingli zurückdenken, dann sehen wir: Alle religiöse Äusserungen findet öffentlich statt. Jeder Aspekt des öffentlichen Lebens ist verwickelt mit Religion.
War Zwingli ein guter Politiker?
Er hatte ungeheure politische Stärken, aber gleichzeitig grosse Schwächen. Das Vorwärtsschreiten der Reformation mit Billigung des Rats können wir Zwingli als politischen Erfolg anrechnen, genauso wie das Verbot des Söldnerwesens 1521. Zum Schluss hatte er eine desaströse politische Fehleinschätzung geliefert, die 1531 auf dem Schlachtfeld von Kappel auch seinen Tod bedeutete.