Sie sind Richter am Gerichtshof für Menschenrechte. Inwiefern hat Ihre Arbeit mit Kant zu tun?
Andreas Zünd: Meine Arbeit als Richter ist eng mit Kants Konzept der Menschenwürde verbunden. Die Freiheit im Einklang mit der Freiheit anderer zu verstehen und sie zu schützen, entspringt einem grundlegenden Prinzip in Kants Philosophie und bildet die denkerische Grundlage der heutigen Menschenrechte. Meine Rolle besteht darin, diese Prinzipien zu verteidigen.
Sie haben die Würde angesprochen: Was macht Kants Vorstellung davon so wichtig und einzigartig?
Ihre Bedeutung liegt in ihrer Universalisierbarkeit. Die Menschenwürde gilt absolut, unabhängig von kulturellen, wirtschaftlichen oder politischen Umständen. Es ist stets erschütternd, wenn Menschen instrumentalisiert und nicht geachtet werden. Gemäss Kants Philosophie dürfen Menschen niemals lediglich als Mittel zum Zweck betrachtet werden; vielmehr sind sie stets auch als Zweck an sich selbst zu achten. Andere Rechte mögen in verschiedenen Gesellschaften unterschiedlich interpretiert werden, doch die unveräusserlichen Menschenrechte bleiben unangetastet.