Ihr Anfang Jahr veröffentlichter Roman «Victoria» handelt von einer jungen Koptin, die vom Nildelta nach Kairo zieht, um Kunst zu studieren. Die Protagonistin ist immer wieder mit Erwartungen der patriarchalen Gesellschaft konfrontiert. Wie erleben Sie diese selbst?
Karoline Kamel: Ich spüre sie ständig, nur schon, weil ich allein wohne. Wenn Leute das hören, fragen sie: Wo ist dein Ehemann? Und sie reagieren schockiert, wenn ich sage, dass ich getrennt wohne. Sie wollen wissen, wie ich so leben kann. Frauen definiert man hier in Beziehung zu anderen: Ich bin Tochter, Mutter oder Ehefrau.
Eine selbstbestimmte Frau ist nicht vorgesehen?
Ich konnte nur mit der Unterschrift meines Ex-Partners eine Wohnung allein mieten. Er unterstützt mich zum Glück. Die Grenzen, die mir gesetzt werden, weil ich eine Frau bin, machen mich wahnsinnig. Manchmal würde ich am liebsten wieder zu meinen Eltern ziehen, dann würde sich niemand mehr um meinen Ruf scheren. Aber dann müsste ich meine Arbeit aufgeben. In meiner Heimatstadt arbeiten Frauen nicht als Journalistin oder Künstlerin.
Der enge Spielraum von Frauen ist in vielen Ihrer Texte ein Thema. Welche Reaktionen erhalten Sie?
Dass ich in «Victoria» so offen über den weiblichen Körper schrieb, löste vor allem Erstaunen aus. Oft bekomme ich Mails, in denen Frauen mir danken, dass ich diese Themen anspreche. Aber auch viele Männer schätzen meine Texte. Denn auch sie leiden unter der patriarchalen Gesellschaft. Geschlechterrollen engen den Spielraum aller Menschen ein.