Beten Sie denn die ganze Zeit?
Das ist das Ziel. Das Gebet läuft den ganzen Tag und die ganze Nacht über
mit. Das ist quasi meine Grundschwingung. Und ich mache jeden Tag
einen neuen Anfang.
Was bewirkt das Herzensgebet?
Ich bin innerlich ruhiger geworden, weniger ängstlich als früher. Auch
sensibler und aufmerksamer für Fragen rund um Gerechtigkeit.
Ihren Kindern sagten Sie, man könne Gott mit dem Herzen hören lernen. Für was steht das Herz?
Das Herz ist für mich der Ort, an dem wir anders wahrnehmen als mit den
fünf Sinnen. In der biblischen Tradition hat das Herz Augen und Ohren.
Mit ihnen sehen und hören wir das, was wir uns nicht selbst sagen
können. Mit dem Ohr des Herzens hören bedeutet, berührt zu werden und
mit meiner Quelle in Kontakt zu kommen.
Jesus sagt in der Bibel oft: «Wer Ohren hat zu hören, der höre!»
Es ist nicht selbstverständlich, dass wir mit den Ohren, die wir haben,
hören können. Jesus geht es um das Ohr des Herzens, das wir Menschen
empfangsbereit machen können.
Sind Sie immer sicher, dass Sie Gott hören, und nichts anderes?
Auf das Beten folgt die Unterscheidung der Geister. Dabei muss ich die
Erkenntnisse, die mir zugefallen sind, überprüfen. Traditionellerweise geschieht das in einer Gemeinschaft und einem Lehrer. Habe ich wirklich Gott gehört? Oder handelt es sich eher um Persönlichkeitsanteile von
mir selbst?
Eine knifflige Unterscheidung.
Es gibt ein einfaches Kriterium: Macht mich das, was ich erlebt habe,
liebevoller? Wenn ja, kommt es höchstwahrscheinlich von Gott. Es geht
aber nicht so sehr um das, was ich beim Beten erlebe, sondern vielmehr
um die Konsequezen, die ich daraus für mein Leben ziehe.
Mit wem besprechen Sie sich?
Ich bin im Austausch mit meiner Frau, meinem geistlichen Begleiter und mit
Menschen aus der kleinen Meditationsgruppe in unserer Kirchgemeinde.
Übrigens zeige ich auch den Konfirmandinnen und Konfirmanden meine
Übungen.
Und wie reagieren sie?
Unterschiedlich. In einem Wahlkurs erkläre ich ihnen, wie die Meditationsübungen in der
Schule, etwa bei Prüfungen, und im Alltag helfen. Ich zeige ihnen
Übungen zur Stärkung des eigenen Willens, zur Steuerung der Gefühle und
fürs klare Denken. Über die Intensität des Übens können sie steuern,
wie tief sie einsteigen wollen.
Zielen die Übungen mehr auf Gesundheit als auf Spiritualität?
Nein. Aber Spiritualität hat direkte positive Auswirkungen auf die
Gesundheit. Solche Übungen können ein Einstieg sein. Übt man intensiver
und länger, öffnet sich irgendwann das Ohr des Herzens.
Für die Reformatoren war das Bibellesen ein Hören auf das Wort Gottes. Ist es das für Sie auch?
Das Bibellesen gehört zum Herzensgebet und zur Unterscheidung der Geister
dazu. Allerdings lese ich die Bibel anders, seit ich einen geistigen Weg gehe – eben auch in einem geistigen Sinn.
Was bedeutet das?
Der Evangelist Markus erzählt die Geschichte, in der Jesus einen Sturm
stillt. Das Schiff, in dem die Jünger mit Jesus unterwegs sind, ist mein Lebensschiff. Das gerät manchmal in den Sturm. Die Frage ist: Wie kann
ich dem Sturm trotzen und Ruhe bewahren? Im Idealfall so wie Jesus.
Der liegt auf einem Kissen und schläft. Die Frage drängt sich auf: Was
ist mein Kissen, auf dem ich sicher bin, wo mir das Unwetter nichts
anhaben kann? Wenn ich das weiss, kann ich dem Sturm Einhalt gebieten,
wie Jesus es schliesslich tut, und verzettele mich nicht im Aktionismus
wie die Jünger.
Kommt es vor, dass Sie Gott nicht hören, so gut Sie auch zuhören?
Sicher. Und ich höre nicht immer das, was ich hören will. Dramatische Folgen
hatte das Hören Gottes, schon bevor ich zu meditieren begann. Ich habe
in Deutschland studiert, konnte dort aber kein Vikariat machen. Meinen
Traumberuf Pfarrer hatte ich schon aufgegeben. Dann wurde in mir das
Wort «Geh in die Schweiz» immer lauter – bis sich mir ein Weg öffnete,
hierher zu kommen und Pfarrer zu werden. Dabei wollte ich nie ins
Ausland!
Und Sie glauben, damit Gottes Stimme gehört zu haben?
Das empfinde ich so. In der Schweiz haben mich unfassbar viele Menschen freundlich aufgenommen.
Und wie steht es mit Gott – ist sie eine gute Zuhörerin?
(Lacht) Das ist vertrackt. Laut dem Psalm 139 weiss Gott, was ich sagen will,
bevor ich es ausspreche. Und dieses «Du» weiss, was ich brauche, bevor
ich darum bitte, wie es in Matthäus 6,8 heisst. Um Gott mache ich mir
keine Sorgen. Es geht darum, ob ich ein guter Zuhörer bin.