Fühlen Sie sich manchmal einsam?
Michael Pfaff: Ich habe mich schon oft einsam gefühlt in meinem Leben. Jeden Montag erlebe ich Einsamkeit, wenn ich meine Partnerin, die im Kanton Zürich lebt, verlassen muss. Auch als Austauschschüler in den USA erlebte ich Einsamkeit oder als Student zu Beginn des Studiums an der Universität. Es war eine soziale Einsamkeit, das Gefühl, zu keiner Gruppe zu gehören, nicht zu wissen, wohin mein Weg mich führt. Doch die schmerzhaftesten Einsamkeitsgefühle habe ich in meinen tiefsten Liebesbeziehungen. Das ist bis heute so geblieben.
Spürten Sie diese schmerzhaften Einsamkeitsgefühle körperlich?
Ja. Wenn sich Angst bis zur Panik hochschaukelte, verlor ich auch Gewicht. Ich spürte eine Leere, eine anhaltende Trauer, die zu Appetitlosigkeit und einem dauerhaften Druck auf der Brust führte.
Können Sie verschiedene Arten von Einsamkeit unterscheiden?
Einsamkeit ist sehr vielschichtig. Es gibt die selbst gewählte Einsamkeit der Nonkonformisten nach einem Berufsausstieg. Ganz anders ist die emotionale Einsamkeit des Menschen. Nicht wenige Suizide von Jugendlichen passieren genau in dieser Situation. Trotz vieler Kontakte haben die Betroffenen das Gefühl, nicht verstanden zu werden, sich verstellen zu müssen. Ausserdem leiden Menschen unter der aufgezwungenen Einsamkeit, ich denke etwa an Strafgefangene oder psychisch Kranke. Aus der Sicht des Psychiaters kann ich sagen, dass viele psychisch Kranke einsam sind. Dies betrifft insbesondere Menschen mit chronischen Krankheitsverläufen.
Inwiefern kann auch Stress in die Einsamkeit führen?
Die Veränderung des Lebensgefühls unter dauerhaftem Stress nennen wir heute Burn-out. Nicht alle Menschen mit einem Burn-out sind krank, aber alle sind sie krankheitsgefährdet, weil sie auf die Dauer mehr Energie verbrauchen, als sie sich wieder zuführen. Das Burn-out endet oft in Depression, Angst- und Schmerzerkrankungen und in psychosomatischem Leiden. Betroffene Menschen erleben sich in solchen Krankheitszuständen oft von der Gesellschaft isoliert. Ich wurde Psychiater, weil ich den Eindruck hatte, dass selbst zahlreiche Leute mit orthopädischen oder internistischen Erkrankungen nicht wirklich wahrgenommen oder geheilt werden. Mir liegt daran, den Menschen als ganze Person zu sehen.
Was können Betroffene gegen ihre Einsamkeit tun?
Die Befreiung aus der Einsamkeit, die als eine Plage wahrgenommen wird, ist, sie zu akzeptieren. Die Akzeptanz, dass sie zu mir gehört und dass sie ein wandelbarer, wechselbarer Zustand ist, ist ein Anfang, mir meiner Gefühle bewusst zu werden, sie als meinen Lebenskompass zu betrachten. Das heisst, ich muss mich fragen, was diese Situation, in der ich stecke, nun bedeutet: Ist die Einsamkeit im Moment gut für mich, steckt darin ein Weg, den ich gehen soll, oder fühle ich mich isoliert und hilflos, benötige ich professionelle Unterstützung?