Recherche 28. April 2021, von Christian Kaiser

Eine Frage der Glaubwürdigkeit

Militär

Die Armee erhofft sich vom Einbezug nichtchristlicher Glaubensgemeinschaften in die Armeeseelsorge mehr Glaubwürdigkeit. Die Dachorganisation der Muslime ist froh, gefragt zu sein.

«Mit dem gegenwärtigen Öffnungsschritt bei der Armeeseelsorge will die Armee auch zeigen, dass die Vielfalt nicht ein Hindernis ist sondern eine Chance.» Stefan Junger, der oberste Armeeseelsorger, ist davon überzeugt, dass es auch ein staatspolitisches Gebot sei, allen Armeeangehörigen einen qualifizierten Seelsorger zur Seite zu stellen. Die allgemeine Wehrpflicht verlange ja, dass alle mit einem Schweizer Pass ihren Wehrdienst tun, unabhängig von kulturellen Wurzeln oder religiösem Hintergrund.

Und das bedinge eben, dass die Militärdienstpflichtigen ihre Diversität auch in der Armee leben könnten: «Die Armee bemüht sich ja schliesslich auch darum, ihre Küche so auszurichten, dass es nicht nur Cervelats gibt.» Obwohl das für eine solche Grossorganisation eine ziemliche Herausforderung sei, werde der entsprechende Aufwand ja auch betrieben.

Ohne Zeitdruck

Für Junger geht es für die Armee dabei um nicht weniger als um ihre Glaubwürdigkeit: «Einige muslimische Armeeangehörige befanden bis anhin: Die Armeeseelsorge geht mich nicht so viel an, weil sie ein rein mit Personen mit christlichem Hintergrund besetzter Dienst ist.» Umfragen und eine Untersuchung hätten das gezeigt.

«Wenn sie nun wissen, dass hinter den Dienstleistungen der Armeeseelsorge ein viel breiter zusammengesetztes Team steht, sind wir einfach viel glaubwürdiger.» Nun hofft er, dass die neuen Partnerorganisationen SIG und FIDS schon bald die ersten Kandidaten präsentieren werden. «Hoffentlich auch Frauen», betont Junger und fügt hinzu, es bestehe überhaupt kein Zeitdruck: «Wenn es passt, ist es gut.»

Das Auswahlverfahren

Die Religionsgemeinschaften verpflichten sich schriftlich auf die von der Schweizer Armee festgelegten Werte und Kriterien. Die Vertretungen der Religionsgemeinschaften, welche diesen Prozess mit der Armeeseelsorge durchlaufen haben, schlagen geeignete Kandidaten vor. Die Armeeseelsorge überprüft in einem Bewerbungsverfahren danach die Eignung für das Jobprofil als Armeeseelsorger: dazu gehören militärische Grundausbildung, theologische und seelsorgerliche Qualifikationen, persönliche Eignung, Einverständnis mit den Werten der Armeeseelsorge. Die Kandidaten müssen sich im Rekrutierungsprozess einzeln und schriftlich auf die gemeinsamen Grundprinzipien der Armeeseelsorge verpflichten. Zuletzt erhalten die zugelassenen Kandidaten eine armeeinterne Ausbildung in einem dreiwöchigen Lehrgang, die sie auf ihre Aufgaben vorbereitet. Die ausgebildeten Armeeseelsorger werden einer Rekrutenschule oder Truppe zugeteilt und können ihren Dienst antreten.

Es sei auch nicht unbedingt nötig, dass es bei den angehenden Armeeseelsorgern um Imame oder Rabbiner handle, eine theologische Fachausbildung sei nicht vonnöten. Junger: «Es sind letztlich die Partnerorganisationen, die über die Eignung von Kandidaten entscheiden.» Durchaus denkbar seien etwa auch Personen mit Erfahrung in der Jugendarbeit. «Wichtig ist, dass die Kandidaten unseren Bedürfnissen entsprechen, gut möglich, dass ein Rabbiner oder Imam nicht geeigneter ist.»

Im Dienst de Mitmenschen

Beim FIDS will man sich zur Frage nach den Auswahlkriterien oder dem Zeitplan noch nicht äussern: «Momentan ist die Vereinbarung unterschrieben, alles andere braucht noch ein wenig Zeit», schreibt FIDS-Sprecher Günes. Es steht für ihn jedoch ausser Zweifel, dass Seelsorger mit einem muslimischen Hintergrund ein Mehrwert für die Armee darstellen werden: «Gemeinsam werden wir für das Wohl aller Armeeangehörigen, in ihrer ganzen Vielfalt sorgen.»

Der Kern der Seelsorge im Islam bestehe darin, im Dienst der Mitmenschen zu stehen und barmherzig zu sein. Der Koran verlange von den Gläubigen diese Form des Gottesdiensts: «Und wir sandten dich nur als Barmherzigkeit zu den Weltbewohnern.» (Sure 21 Vers 107)

Eine einzigartige Chance

Kommandant Stefan Junger legt Wert darauf zu betonen, dass sowohl das Selektionsverfahren als auch die fachtechnische Grundausbildung für alle gleich ist und bleibt – unabhängig vom religiösen Hintergrund der Kandidatinnen und Kandidaten: «Es gibt eine Ausbildung für alle, welche alle angehenden Armeeseelsorger gemeinsam besuchen.» Nur schon in der Grundausbildung zum Armeeseelsorger ergebe sich so die einzigartige Chance, dass sich Vertreter verschiedener Religionsgemeinschaften über ethische und spirituelle Themen austauschen.