Recherche 25. August 2023, von Marius Schären

Die Armee als Vorreiterin im Dialog der Religionen

Seelsorge

Für heftige Reaktionen sorgte ein Foto mit betenden Muslimen an einem Feldgottesdienst. Multireligiosität gehört in der Armee aber bereits zur Realität. Eine erste Bilanz.

Mit einem derart medienwirksamen Ein­stieg hatte Muris Begovic kaum gerechnet. Der erste muslimische Armeeseelsorger der Schweiz war Vorbeter der Gruppe von Soldaten, die Ende Juni das Opferfest Bayram mit einem gemeinsamen Gebet feierten. Ein Foto davon sorgte in den Medien für einiges Aufsehen.

Begovic ist einer von 32 neuen Seel­sorgenden in der Schweizer Armee, die einen freikirchlichen, christ­katholischen, jüdischen oder eben muslimischen Hintergrund haben. Sie ergänzen den Pool von zurzeit 78 reformierten und 64 katholischen Seelsorgerinnen und Seelsorgern.

In der Armee­seelsorge werden persönliche, berufliche und familiäre Prob­leme eher zum Thema als religiöse Fragen.
Matthias Inniger, Chef Ein­satz Armeeseelsorge im Kommando Operationen und reformierter Pfarrer

Denn die Armee hat im Jahr 2020 ent­schieden, ihre Seelsorge interkonfessionell und interreligiös auszuweiten. Dies als Reaktion auf die deutlich zunehmende Vielfalt der Religionen in der Gesellschaft.

Nach den Christen sind schweiz-weit die Muslime die grösste Religionsgemeinschaft mit etwas weniger als sechs Prozent. Wie es unter den gut 150'000 Armeeangehörigen aussieht, ist nicht bekannt, diesbezügliche Zah­len erhebt die Armee nicht.

Bekenntnis zur den Werten

Die neuen Seelsorgenden durchlaufen ein mehrstufiges Aufnahmeverfahren. Als neue Partner schlagen auch der Schweizerische Israelitische Gemeindebund sowie die Föderation Islamischer Dachorganisationen Kan­didierende vor.

Diese müssen sich schriftlich zu den Prinzipien und Werten der Armee bekennen. Die Ausbildung erstreckt sich über zehn Monate, und die Zuteilung erfolgt so, dass alle militärischen Einheiten optimal abgedeckt sind.

Seit der neuen Ausrichtung habe es keine namhaften Schwierigkeiten gegeben, sagt Matthias Inniger. Er ist ein Pionier der multireligiösen Armeeseelsorge, heute Chef Ein­satz Armeeseelsorge im Kommando Operationen und reformierter Pfarrer in Ringgenberg. Mit seiner Doktorarbeit über multireligiöse Seel­sorge im Jahr 2017 hat der Reformierte mitgeholfen, den Boden für die Öffnung zu bereiten.

Einfach nur erstaunt

Die teils empörten Reaktionen auf das Foto nahm Muris Begovic «nur erstaunt» zur Kenntnis. Mehr möch­te er dazu jetzt nicht mehr sagen, auch nicht, wie die Angehörigen der betreffenden Einheit damit umgegangen sind. Sein christlicher Kollege Matthias Inniger freute sich über das Bild «als Armeeseelsorger, der seit über 20 Jahren mit jungen Schweizerinnen und Schweizern im Kontakt steht, die Militärdienst leis­ten und einen muslimischen Hinter­grund haben. Beten ist etwas Erfreu­liches und Erlaubtes.»

Im September werde wieder der Eidgenössische Bettag gefeiert, der ökumenisch und interreligiös konzipiert sei, so der Pfarrer. In einem säkularen Staat und einer toleranten Gesellschaft sollten nicht nur christliche Gebete ihren Platz haben. Ganz im Sinn der Glaubensfrei­heit, wie sie in der Verfassung ja auch verbrieft sei.

Als Vorreiterin des religiösen Dialogs setze die Armee konsequent fort, was bereits vor 130 Jahren begonnen hat.
Samuel Schmid, Chef Armeeseelsorge

Es sei eine Frage des Respekts, andere Konfessionen und Religionen mit ins Boot zu holen, hielt Inniger damals fest. Zwar zeigen sowohl seine Dissertation als auch die Erfahrung, dass in der Seelsorge berufliche, persönliche und familiäre Herausforderungen mehr zum Thema werden als religiöse Fragen. Eine glaubens­spezifische Betreuung mache zuweilen dennoch Sinn.

Nahe bei den Menschen sein

Muris Begovic macht dieselben Erfahrungen. Gehe es bei einem An­liegen jedoch ausdrücklich um Religionsfragen, sprächen sich die Seel­sorgenden untereinander ab, wer den Hilfesuchenden am besten begleiten könne. Noch liegen keine Erfah­rungswerte vor, wie oft dies der Fall ist. So oder so sei Multireligiosität schlicht Realität, und die Seelsorgen­den mit ihrer Ausbildung wüssten damit um­zugehen.

Auch aus der Sicht von Samuel Schmid, Chef Armeeseelsorge, ist die Armee mit der multireligiösen Seelsorge auf gutem Weg. Die Rück­meldungen von Kader und Truppe seien durchwegs positiv. Weiterentwicklungen seien derzeit keine vorgesehen. Man wolle aber möglichst «nahe bei den Menschen und ihren Bedürfnissen sein», um das Angebot zu verbessern.

Ökumenische Pionierarbeit

Als Vorreiterin des religiösen Dialogs setze die Armee «konsequent fort, was bereits vor 130 Jahren begonnen hat», sagt Schmid. Damit spricht er die Gründung der Feldpredigergesellschaft 1894 an. Damals hätten sich wohl zum ersten Mal seit dem 16. Jahrhundert reformierte und katholische Geistliche wieder getroffen und etwas Gemein­sames auf die Beine gestellt.

Diskussionen wie jene um das Fo­to mit betenden Muslimen am Feldgottesdienst sieht Samuel Schmid als «wertvoll», wenn sie respektvoll geführt würden. Denn ge­rade auch aus Unterschieden beziehe das Land seine Kraft für die Gestaltung einer vielfältigen Zukunft der «Schweiz als Willensnation».