Recherche 28. April 2021, von Felix Reich

«Immer eine Horizonterweiterung»

Armeeseelsorge

Für EKS-Präsidentin Rita Famos zeugt interreligiöse Kooperation von der friedensfördernden Wirkung der Religionen. Wichtig seien aber strenge Zulassungskriterien für Seelsorger.

Haben die Landeskirchen auch einen Status zu verlieren, wenn Armeeseelsorger nicht mehr einfach Priester oder Pfarrer sind?

Rita Famos: Sie werden ihren Status erst dann verlieren, wenn es ihnen nicht mehr gelingt, genügend motivierte Armeeseelsorgende aus ihren Reihen zur Verfügung zu stellen. Dies verstehe ich durchaus auch im Sinn eines Appells an die Mitgliedkirchen und ihre Kirchgemeinden, ihre fähigen und motivierten Pfarrpersonen für die Seelsorge in der Armee zu motivieren und zur Verfügung zu stellen.  Denn die reformierte und die katholische Kirche haben die längste Erfahrung mit Seelsorge in öffentlichen Einrichtungen, sie haben den grössten Pool an akademisch und praktisch ausgebildetem Seelsorgepersonal und es ist für die Kirche wie auch für die Armee entscheidend, dass diese Erfahrung dieses Know-how in der Zusammenarbeit mit den Freikirchen und anderen Religionen einfliesst.

Die Landeskirchen stehen als öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften für Qualität und ethische Standards.

Sie waren als Leiterin der Spezialseelsorge in der Zürcher Landeskirche beteiligt, als die Notfall-, Gefängnis- und Spitalseelsorge für andere Religionsgemeinschaften geöffnet wurden. Welche Tipps geben Sie der Armee?

Alle öffentlichen Einrichtungen, die im Kanton Zürich die Ausweitung des Seelsorgepersonals auf andere Religionsgemeinschaften geprüft und eingeführt haben, haben mit den Landeskirchen zusammengearbeitet und sie aufgrund ihrer Erfahrung bei der Entwicklung einbezogen. Ich hoffe, dass die Armee die Erfahrung und das Know-how der Landeskirchen nutzen wird.Die Landeskirchen stehen als öffentlichrechtliche Religionsgemeinschaften mit ihren Wahlfähigkeitsbescheinigungen und Missio für Qualität und ethische Standards ihrer Seelsorgenden, die sie in die Einrichtungen delegieren. Mir ist nicht klar, wer für die Qualität der Seelsorge der Freikirchen und anderen Religionsgemeinschaften steht und hoffe, dass die Armee sorgfältig prüft, wem sie die sensible Aufgabe der Seelsorge anvertraut. 

Die ersten Marschbefehle schon im nächsten Jahr

Die Armeeseelsorge ist mit der Föderation Islamischer Dachorganisationen (FIDS) und dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) kürzlich eine Partnerschaft eingegangen. Bereits 2022 sollen die ersten muslimischen und jüdischen Armeeseelsorger einrücken.  Diversität sei eine Bereicherung für alle, auch in der Armee, und darum sei der jetzt erfolgte Öffnungsschritt der Armeeseelsorge nichts als logisch und konsequent, sagt Stefan Junger. Der reformierte Pfarrer ist seit sieben Jahren Chef der Armeeseelsorger und hat das Konzept einer multireligiösen Armeeseelsorge vorangetrieben.

Ist die multireligiöse Seelsorge auch ein Zeichen für den Willen zu Dialog und Integration?

In allen öffentlichen Einrichtungen des Kantons Zürich ist es klar, dass die Seelsorgenden der verschiedenen Konfessionen und Religionen zusammenarbeiten und gemeinsam auftreten. Dies ist ein wichtiges Zeugnis dafür, dass Religionen eine friedensfördernde Wirkung haben. Es war zum Beispiel in den Gefängnissen von grosser Bedeutung, dass nach den terroristischen Attentaten auf Moscheen der Imam und die christlichen Seelsorgenden sich gemeinsam an die Gefangenen gewandt haben und so eindrücklich demonstrierten, dass Religionen auch zusammenwirken können. Ich hoffe, dass die Armee auch dieses interreligiöse Potenzial nutzen wird.

Mit Vertretern anderer Konfessionen über das Verständnis von Seelsorge zu ringen, schärft auch das eigene Profil.

Welche Fallstricke gibt es bei einem solchen Projekt?

Man sollte nie aufgrund einer Personalknappheit Abstriche beim Anforderungsprofil machen. Die Anforderungen an Seelsorgende bei kritischen Ereignissen wie aussergewöhnlichen Todesfällen, Trauerfeiern, Begleitung von ganzen Truppeneinheiten bei schwierigen Ereignissen sind sehr hoch.

Und inwiefern können auch die reformierten Militärseelsorger von einer multireligiösen Öffnung profitieren?

Interreligiöse Zusammenarbeit ist immer eine Horizonterweiterung. Mit Vertretern anderer Konfessionen über das Verständnis von Seelsorge zu ringen und gemeinsam für eine Seelsorge nahe bei den Menschen einzustehen, schärft auch das eigene Profil.

Rita Famos (55)

Rita Famos (55)

Die Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS) leitete bis 2020 die Abteilung Spezialseelsorge der Evangelisch-reformierten Landeskirche des Kantons Zürich. Rita Famos war an der Öffnung der Seelsorge in Spitälern und Gefängnissen für andere Religionen beteiligt, insbesondere an der Etablierung der muslimischen Seelsorge. Von 1993 bis 2011 war Famos im Gemeindepfarramt in Uster und Zürich tätig.