Recherche 22. Juni 2023, von Marius Schären

Chef der Armeeseelsorge: «Es geht um tiefere Liebe»

Militär

Einfach da sein für alle: Am ersten Schweizer Armeeseelsorgetag in der langen Geschichte des Berufsfeldes wurde vor allem dieser Grundsatz hervorgehoben.

Der Einsatz von Geistlichen oder Pfarrern im Militär hat eine sehr lange Geschichte. Schon in der Schlacht bei Morgarten (1315) und bei Laupen (1339) hat der Berner Stadtpfarrer Theobald Baselwind die Soldaten begleitet. Mit den Glarnern an den Feldzügen von 1513 (Novara) und 1515 (Marignano) zog Huldrych Zwingli, und als 1831 bernische Truppen in das von schweren Unruhen erschütterte Baselbiet gesandt wurden, war unter den Feldpredigern auch der Pfarrer von Lützelflüh, Albert Bitzius – bekannt als Jeremias Gotthelf. Dies zeigt eine Geschichte der Armeeseelsorge auf deren eigener Website.

Erst jetzt aber, am 20. Juni 2023, fand der erste Armeeseelsorgetag in der Schweiz statt. Im Anschluss an die Synode der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (reformiert. berichtete) trafen sich Armeeseelsorgende aus der ganzen Schweiz in Olten. Auf dem Programm standen ein Beitrag des deutschen Armeeseelsorgers Wolf-Eckhard Miethke, ein «Speed-Dating» und fünf Kurzbeiträge («Testimonials») von Schweizer Pfarrern, die auch in der Armee arbeiten oder arbeiteten.

Bedingungslose Begleitung

Hauptmann Samuel Schmid, Chef Armeeseelsorge, betonte eingangs des Tages, es gehe in seinem Berufsfeld «nicht um besseres Wissen: Es geht um tiefere Liebe.» Oder anders gesagt: Hauptaufgabe sei schlicht, Menschen bedingungslos zu begleiten, dazusein für alle, wenn man gebraucht werde.

Aber die Armeeangehörigen sind offen, etwas anzunehmen – vor allem, wenn sie merken, dass da Menschen sind mit Herz und mit Bereitschaft, sie zu begleiten.
Samuel Schmid, Hauptmann und Chef Armeeseelsorge

«Das bringt die Armeeseelsorge auf den Punkt», hielt Schmid fest. Und gerade die Seelsorge in der Armee zeige erfahrungsgemäss, dass die Menschen zwar nichts von der Kirche erwarteten. «Aber sie sind offen, etwas anzunehmen – vor allem, wenn sie merken, dass da Menschen sind mit Herz und mit Bereitschaft, sie zu begleiten.»

In Deutschland immer auf Augenhöhe

In Deutschland sind Armeeseelsorgerinnen und -seelsorger – anders als in der Schweiz – keine Militärangehörigen. «Wir sind zivile Bundeswehrangehörige», erzählte der deutsche Pfarrer Wolf-Eckhard Miethke in seinem Referat. So würden sie immer auf der Ebene des Gegenübers stehen: «Ist es ein Soldat, sind wir das auch – ist es ein Major, sind wir auch Major.»

Für alle da sein, aber keinen schnellen Trost bieten können: Das nannte auch Miethke als Grundpfeiler der Armeeseelsorge. Und die Themen in Seelsorgegesprächen würden sich überall gleichen.

Ein Armeeangehöriger wunderte sich über drei Dinge: Dass er überhaupt darüber sprach, dass er darüber mit einem Pfarrer sprach und dass er realisierte, wie ihm das Reden half.
Wolf-Eckhard Miethke, Pfarrer und Seelsorger bei der Bundeswehr

In seinem Einsatz im afrikanischen Mali von Dezember 2021 bis April 2022 habe er das wertvollste Gespräch gehabt – nachts um 2 Uhr 30. Es zeige wie Seelsorge wirken kann, sagte Wolf-Eckhard Miethke: «Der Armeeangehörige begann zu reden von seinem Afghanistan-Einsatz. Davon, wie sich ein Kollege das Leben nahm. Und er wunderte sich über drei Dinge: Dass er überhaupt darüber sprach, dass er darüber mit einem Pfarrer sprach und dass er realisierte, wie ihm das Reden half.»

Reformierte Grundlagen für Multireligiosität

Unter den fünf Armeeseelsorgern, die sich kurz präsentierten, war Matthias Inniger mit 61 der älteste. Er ist jetzt Pfarrer in Ringgenberg, war 20 Jahre lang Armeeseelsorger und hat mit seiner Dissertation 2016 über den christlich-muslimischen Dialog in der Armeeseelsorge dazu beigetragen, den Weg zur 2021 beschlossenen multireligiösen Seelsorge zu bereiten (reformiert. berichtete). «Haben wir Reformierte die Grundlagen für eine multireligiöse Seelsorge? Ja!», bekräftigte Inniger.

Die Strukturen werden nicht über alle Zeiten erhalten sein müssen.
Fabian Kuhn, Armeeseelsorger

Auch der gut 20 Jahre jüngere Armeeseelsorger Fabian Kuhn bekräftigte anschliessend, dass die Kirche ein Bethaus sein müsse für alle Völker – «sie muss offen sein für alle, die kommen». Er habe sich viele Gedanken gemacht über die Zukunft der Kirche. Und für den Ostschweizer ist klar: «Die Strukturen werden nicht über alle Zeiten erhalten sein müssen.» Die Armeeseelsorge sei für ihn ein Ort, wo junge Menschen spürten, dass Kirche für sie da sei. So habe einer zu ihm gesagt: «Vielen Dank, endlich konnte ich wieder mal mit jemandem normal reden.»

Positiver Austausch

Durch den Tag mit den Armeeseelsorgenden hatte Pfarrerin Tabea Stalder geführt, Beauftragte für Kirchenbeziehungen bei der EKS. Da die Dachorganisation der Reformierten neu für die Mitgliedskirchen der EKS den Kontakt mit der Armee ist, will sie dafür sorgen, «einander zu kennen, das Gespräch zu suchen und auch kritische Diskussionen zu führen».

Die Arbeitsgruppe Armeeseelsorge werte den Tag zwar erst am kommenden Dienstag aus, sagt Stalder auf Anfrage. «Aber bezüglich der bereits eingegangenen Rückmeldungen ziehen wir eine erste positive Bilanz, was das Treffen an sich, insbesondere den Austausch angeht.» Ein kritischer Punkt sei für sie, dass mit fortschreitender Zeit immer weniger Kirchenverantwortliche dabei waren. Da wolle man noch einmal genauer hinschauen. Schliesslich: «Ich persönlich gehe zurzeit davon aus, dass es wieder einen Armeeseelsorgetag der EKS geben wird.» In welchem Intervall und mit welcher Thematik sei noch offen.