Recherche 26. April 2021, von Christian Kaiser, Felix Reich

Die Armee will eine multireligiöse Seelsorge

Militärdienst

Geht es nach dem Willen des obersten Armeeseelsorgers, sollen schon 2022 die ersten muslimischen und jüdischen Armeeseelsorger Dienst tun. Eine wichtige Hürde ist genommen.

Stefan Junger hat eine Vision. Seit 2014 ist er Chef der Armeeseelsorge, nun will er den Dienst zu einem echten Spiegel der Gesellschaft machen und für muslimische und jüdische Seelsorger öffnen.

Über allem steht doch, dass wir miteinander viel mehr Gemeinsamkeiten haben als Unterschiede.
Stefan Junger, Chef Armeeseelsorge

In seinem Büro in der Aarestube bei der Kaserne Thun sagt Junger: «Über allem steht doch, dass wir miteinander viel mehr Gemeinsamkeiten haben als Unterschiede.» Diversität sei eine Bereicherung für alle, auch in der Armee, und darum sei der jetzt erfolgte Öffnungsschritt der Armeeseelsorge nichts als logisch und konsequent.

Muslime als Teil der Gesellschaft

Die Armeeseelsorge ist mit der Föderation Islamischer Dachorganisationen (FIDS) und dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG) kürzlich eine Partnerschaft eingegangen. Junger hofft, dass von den beiden Organisationen vorgeschlagene Kandidaten bereits 2022 ihre Ausbildung antreten werden. «Die Öffnung der Armeeseelsorge auch für andere Religionsgemeinschaften begrüssen wir sehr», sagt Jonathan Kreutner, Generalsekretär des SIG. Sie zeige, dass die Armee der gesellschaftlichen Diversität mit Offenheit begegnen wolle.

«Wir sind ein Teil der Gesellschaft, wir müssen an der Armeeseelsorge teilnehmen», sagt FIDS-Sprecher Ender Günes. Die Muslime sind mit rund fünf Prozent Anteil die drittgrösste Glaubensgemeinschaft, in einigen Truppen könnte der Anteil muslimischer Rekruten bis zu zehn Prozent betragen. Die Armee erhebt diese Zahlen jedoch nicht.

Fix einer Truppe zugeteilt

Wie die bisherigen Armeeseelsorger werden auch ihre künftigen muslimischen oder jüdischen Dienstkameraden als Offiziere fix einer Truppe zugeteilt. Etwas anderes kommt für Stefan Junger nicht infrage: «Wir würden das Herz der Armeeseelsorge preisgeben, nämlich, dass die Armeeseelsorger vor Ort im Einsatz mit der Truppe deren Alltag teilen.» Junger legt Wert darauf zu betonen, dass auch das Selektionsverfahren und die Grundausbildung für alle angehenden Armeeseelsorger gleich seien. Die Armee sei damit eine Vorreiterin, wenn es um die Gleichbehandlung der Glaubensgemeinschaften gehe.

Die Zusammenarbeit ist ein wichtiges Zeugnis, dass Religionen friedensfördernde Wirkung haben
Rita Famos, EKS-Präsidentin

Die Zusammenarbeit von Seelsorgenden unterschiedlicher Religionen ist für Rita Famos, Präsidentin der Evangelisch-reformierten Kirche Schweiz (EKS), «ein wichtiges Zeugnis dafür, dass Religionen friedensfördernde Wirkung haben». Zugleich mahnt Famos, bei den Aufnahmekriterien auch bei Personalknappheit keinerlei Abstriche zu machen: «Die Anforderungen an die Armeeseelsorgenden bei aussergewöhnlichen Todesfällen, Trauerfeiern oder bei der Begleitung ganzer Truppeneinheiten bei schwierigen Ereignissen sind sehr hoch.»

Impuls für den Dialog

Der ehemalige reformierte Pfarrer Junger hofft, dass die Armeeseelsorge einen Impuls geben könne, um den interreligiösen Dialog insgesamt zu beleben: «Wenn das geschieht, freue ich mich maximal.» Die Zeichen stehen gut. FIDS-Sprecher Günes spricht jedenfalls vom «gegenseitigen Vertrauen», das in vielen Gesprächen gewachsen sei.

Auf gemeinsame Prinzipien verpflichtet

Wer in der Armeeseelsorge mitwirken will, muss sich schriftlich zu deren Prinzipien und Werten bekennen. Das gilt nicht nur für die Dachverbände der einzelnen Religionsgemeinschaften, sondern auch für jeden einzelnen Armeeseelsorger. Zu den festgeleg­ten Prinzipien gehört insbesondere, den Armeeangehörigen auf der Basis von Werten und einem Menschenbild zu begegnen, «wie sie insbesondere durch die christliche Tradition unseres Landes geprägt sind, wie Gerechtigkeit, Freiheit, Gleichbehand­lung, Solidarität, friedliches Zusam­menleben, Respekt, Toleranz und Diversität». So lautet die entsprechende Weisung der Armee.

Weisung der Armee

Die Prinzipien der Armeeseelsorge
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